überflieger in spe


(eine versuchte selbstheit)

was bleibt, was wird die Zeiten überdauern? gemeinhin sind es populäre Stars auf flimmernden Bildschirmen, welche mit Ohrwürmern oder einem skandalösen Auftreten im kollektiven Bewusstsein hängenbleiben. doch ihre Halbwertszeit ist bei einem ständig wechselnden Überangebot eine kurze. wie die topaktuellen Angebote in der Literatur und Kunst werden sie unablässig von neuen Trends und modischen Revivals ersetzt. was in Erinnerung bleibt, sind blasser werdende Flashbacks mit einem schalen Beigeschmack eines vergänglichen und vergeblichen Zutuns. somit bleibt wenig übrig, insofern man zwar nicht selbst, aber eine digitalisierte Gesellschaft bei einer permanenten Überinformiertheit immer schneller vergisst.
das tägliche Geschehen und darüber Berichten übersteigt das Vorstellungsvermögen. für die aktuellen Nachrichten, welche wie Wettervorhersagen gehäuft Katastrophenberichte sind, kann kaum noch jemand zuständig sein. unheilvolle Botschaften müssen über kurz oder lang vergessen werden, damit man nicht völlig abstumpft. Werte wie Bräuche zersetzen sich fortwährend und werden durch Surrogate ersetzt. das Bier zum Beispiel trinkt kaum jemand, wie jahrhundertelang üblich, in Tonkrügen, was vor allem im Sommer Sinn macht, wenn das Sonnenlicht es in Gläsern zu etwas Schwefelstoffartigem verwandelt und schnell pupsig aufwärmt. da es in der Werbung transparent gezeigt prickelnder aussieht, hält man es so unpraktisch und trinkt es bitter. es muss nicht munden und nach dem ersten Glas ist jeder sowieso in der Hitze duhn. der Gewohnheitsmensch hört nicht auf seine Gewohnheiten, die Werbung bestimmt, was ihm mundet. selbst wenn ein süss klebriges Hopfen-Fruchtsaft-Gebräu empfohlen wird, erfühlt es der Gaumen spritzig.
was gestern zutiefst begeisterte oder wenigstens zufriedenstellte, kann morgen schon enttäuschen. so ergeht es mir mit manchem Aufgeschriebenen. richtig fertig wird nichts, nicht halbwegs und dreiviertelst auch nicht. meine Buchführung ist eine poetisch offene und zwangsläufig defizitär. was nicht notiert wird, reift im Unterbewusstsein zu Besserem heran, ich muss es nicht sofort aufschreiben und später dann laufend korrigieren, weil zu befürchten ist, dass ich Fehler umso mehr übersehe. was übrigbleibt, ist das, was irgendwie verbleibt und oft das Banale, das aber nie banal genug ist, auf dass es nicht banaler werden kann.
Menschen, die ich heute auf der Strasse beäuge, wird man in 50 oder spätestens 100 Jahren hier nicht mehr flanieren sehen. das gilt auch für die vielen besorgten Bürger, die zahlreicher und vehementer gegen eine Überfremdung des Abendlandes demonstrieren. niemand von ihnen wird noch da sein, wenn ihre Sorgen den nächsten Generationen ziemlich kleinlich erscheinen. ich sollte ihnen vielleicht zuprosten. aber muss ich deswegen jetzt ein drittes Bier trinken? ja, nein - doch.