überflieger in spe


(eine versuchte selbstheit)

eine fernsehgene Satire kann inzwischen alles durch den Kakao ziehen, ohne dass es jemanden verstört. nur über Nordkoreas Politik soll es keine Komödien im Kino geben. Hollywood hat einen Film aus dem Verkehr ziehen müssen, welcher ironisch einen Kindskopf-Diktator vorführt. in der Realität handelt es sich um einen Staatsmann, der in seinen Neujahrsansprachen mit nuklearen Angriffen dem Rest der Welt droht und in seinem Land grausam Andersdenkende verfolgt. nach massiven Hackerangriffen auf das produzierende Studio und angekündigten Kino-Attentaten soll es nun zu keinen weiteren Vorführungen kommen. die Drohungen werden jedoch nichts nützen, der Film findet mit jenem Kitzel wohl umso eher sein Publikum und die Produzenten werden sich am Ende über die Drohung richtig freuen, da sie eine gute Werbung war.
für die eigene Kunstproduktion wünscht man sich auch mal so eine vehemente Anfeindung. die daraus resultierende Beachtung würde, auf dass die eigene Denkschule nicht so oft ins Leere laufe, für eine breite Publicity sorgen. obwohl ziemlich verschlagen das in heuchlerischen Verhältnissen Bestehende kritisiert wird, löst es kaum etwas aus. es wird schlichtweg ignoriert, dass Kreative wie ich mit Vehemenz gegen ein Einfallslosigkeit opponieren, welche jeder Aufklärung zum Trotz durch die Generationen mäandert. bestimmt weil ich zu bescheiden argumentiere und nicht rücksichtslos genug attackiere. ich müsste mich dazu durchringen, ganz unverschämt ein Tabu zu brechen, oder einen beliebten Prominenten heftigst beleidigen. die bloggende Meute im Internet würde sich draufstürzen und für eine grosse Publizität sorgen. damit es freilich erst einmal irgendwem auffällt, bräuchte solches allerdings den Bekanntheitsgrad eines halbwegs prominenten Künstlers. ohne Aufmerksamkeit kann nichts provozieren und nicht rundweg diffamiert werden. dieses Handicap ist das grösste Tabu, das zu brechen noch keiner geschafft hat.
soll das Dasein nicht im Einerlei versinken, muss das Betteln um ein Publikum skrupellos sein. in einer Welt, in der sich Moral auf banal oder auf anal reimt, darf sich die Kunst ausgefallen offenbaren. entweder muss sie hoch- oder tiefstapeln, je nachdem ob jemand eine Anerkennung erstrebt oder falls er sie schon hat, seinen Ruhm abgeklärt geniessen will. das Leben in einer Mediengesellschaft ist ein täglicher Stuhlgang, es muss kräftig gedrückt und das eigene Meinen originell ausgeschieden werden. wer unter Verstopfungen leidet oder anderweitig nichts zu vermelden hat, behält es für sich und führt umso öfter Selbstgespräche. er kann verzweifelt er selbst sein wollen und ist, falls es tatsächlich der Fall ist, dann verzweifelt nur er selbst. manchmal ist eine solche Bescheidenheit für die Literatur auch vom Nutzen. als sich Montaigne müde und enttäuscht von seinen öffentlichen Ämtern in einen Turm zurückzog, schrieb er seine skeptischen Essays. er schrieb sie als ein unabschliessbares Selbstporträt, weil er erkannt hatte, dass der Mensch als elendes und erbärmliches Geschöpf kein Mass und kein Ziel kennt.