überflieger in spe


(eine versuchte selbstheit)

mindestens einmal im Jahr müssen, damit der Blick auf die Aussenwelt ungetrübt bleibt, die Fenster geputzt werden. auch wenn es ein Müllcontainerausblick ist, bestehe ich auf jene Ablenkung. ich brauche sie, falls es mit der Arbeit am Schreibtisch nicht vorangeht. meine Mutter reinigte die Scheiben monatlich und dazu noch, wegen dem Zigarettenqualm meines Stiefvaters, die davor hängenden Stores vierteljährlich. so fleissig hält es heute in einer Familien-Wohnung nur, wer sich eine Putzfrau leistet. ist es nicht delegierbar, muss trotzdem ein bisschen wider die Staubflusen um einen herum gekämpft werden. einzig im Leib funktioniert die Instandhaltung sogar bei den Säumigen von allein. in jeder Sekunde werden Zellen regeneriert, so dass sich der Körper alle sieben Jahre runderneuert. man nimmt es erst wahr, wenn sich die Wiederherstellung verlangsamt und der Verfall einsetzt.
früher oder später ist der Niedergang dennoch unübersehbar. der Sack hängt und die Haut wirft Falten. die es im Gesicht nicht hinnehmen, lassen sich mit Botox spritzen oder durch teure Kosmetika glätten. man will nicht alt sein, wenn man nicht mehr jung ist, sondern for ever young ausschauen. für solches Wünschen soll es in absehbarer Zeit eine medizinische Erfindung geben, mit der sich der Alterungsprozess generell aufschieben lässt. optimistische Wissenschaftler meinen, dass dies irgendwann machbar sei und der Mensch wie ein stattlicher Baum das Alter von 300 Jahren erreichen könne. der Stoffwechselprozess und die Zellteilung müssen dafür anders koordiniert werden. bei Mäusen im Labor soll es schon funktionieren. wird ihre tägliche Nahrungsmenge um ein Drittel reduziert, erhöhte sich die Lebenszeit ebenfalls um ein Drittel.
die Suche nach dem Quell ewiger Jugend ist kein Phänomen der Neuzeit, sie wohnt seit jeher als Wunsch-Phantasie dem Menschen inne. bereits zur Zeit Alexander des Grossen, als das Alter ein ziemlich gebrechliches und unangenehm dahinsiechendes war, suchte man intensiv nach einem Jungbrunnen. in unserer Gesellschaft werden bei gesünderer Nährung die Alten immer älter und seitdem die Geburtenrate sinkt, eine wachsende Mehrheit. die Mode darf sie nicht ignorieren und die Politik noch weniger. sie hat einer Generation zu dienen, die sich in privaten Ansprüchen eingerichtet hat und fleissiger als die Jugend wählen geht. mir wird allerdings vor einem langen Altenteil recht bange. an meinem Lebensabend werde ich sicherlich, da es am jungen Pflegepersonal mangelt, in Heimen von Robotern betreut. für das Putzen in Wohnungen haben sie sich nicht durchgesetzt. viele brauchen zu Hause die manuelle Arbeit als Ausgleich zum anstrengenden Koordinieren und Korrespondieren am Computer. für die Betreuung künftiger Rentner kommen sie bestimmt zum Zuge. sie werden uns das Essen termingerecht servieren und gleich überprüfen, ob wir es schlucken. und wenn nicht, dann gibt es eine Zwangsernährung. erfreulicherweise hat das Alter auch den Vorteil, dass man vieles abgeklärter sieht und sich mit Misslichkeiten besser abfinden kann.