überflieger in spe


(eine versuchte selbstheit)

die beliebtesten Spielplätze in seiner Kindheit waren Abbruchhäuser. mit Gleichaltrigen konnte er sich hier hemmungslos austoben, Fensterscheiben zerdeppern, Zimmerdecken durchstossen und das verbliebene Mobiliar kleinschlagen. eine aufgestaute Wut wurde man hier los und selten störte jemand dabei. man machte nicht kaputt, was einem kaputt machte, sondern was kaputt vorlag noch kaputter. aufgegebene Häuser gab es in der DDR viele und es irritierte kaum, dass sie zusehends verfielen. einzig die Eltern sorgten sich, dass ihre Kinder sich in ihnen verletzen könnten. was auch zuweilen passierte. so brach sich ein Freund ein Bein, als er in einem neu entdeckten Geisterhaus von dem zweiten Stock durch morsche Decken in den Keller sauste. zu seinem Glück ist ihm nichts Ärgeres passiert. man trug ihn nach Hause und hielt den Unfallort geheim, um dort weiterhin randalieren zu können.
schwer zu vermietende, unrenovierte Häuser sollten durch Platten-Bauten ersetzt werden. in ihnen wohnte man komfortabler mit einer Zentralheizung und musste keine Kohlen aus dem Keller holen. da es an Baumaterial sowie Handwerkern fehlte, verrotteten zahlreiche alte Bürgerhäuser mit Stuck an den Decken. die Architekten wollten alles neu bauen und konstruierten auf Reisbrettern ganze Stadtteile in grossen Verhältnissen. für den Abriss lagen allerdings keine konkrete Termine vor, so dass es ganze Wohnviertel schafften, die innerstädtische Neugestaltung zu überleben, um nach der deutschen Vereinigung mit der harten D-Mark von gerissenen Investoren renoviert zu werden. manche Gründerzeitvilla überstand Jahrzehnte leerstehend oder als Lagerraum zwischengenutzt den Zeitgeist. aufwendig saniert dient sie nun den Wende-Gewinnern als Distinktion oder Spekulation.
in den alten Bundesländern wurden Städte radikaler modernisiert und komplette Strassenzüge neu errichtet. im Osten fehlte dafür das volkswirtschaftliche Vermögen. inzwischen sind Ruinen seltener zu finden und falls doch, dann mit zugemauerten Türen, damit sich hier bis zur spekulativen Renovierung keine Hausbesetzer einnisten oder etwa Strassenkids, für die ja von Sozialarbeitern betreute Bauspielplätze angeboten werden. leider sind sie meist fertig gebaut und verdienen den Namen nicht mehr. aus Sicherheitsgründen darf es wohl keine neuen geben. junge Menschen werden heute wohlbehütet mit dem Auto zur Schule gefahren und gegen alle möglichen sowie unmöglichen Gefahren abgeschirmt. für den Aggressionsabbau liegen brutale Computerspiele vor, so dass die Kids seltener draussen herumtoben. er musste es sogar im Winter, damit seine Eltern ihre Ruhe hatten. als es ganz kalt in einem schneereichen Dezember war, baute er sich mal eine kleine Schneehütte, um sich in ihr zu verkriechen. später zog er sich in eine gut beheizte Kinder- und Jugendbibliothek zurück.