überflieger in spe


(eine versuchte selbstheit)

kreative Innovationen heissen in der Wirtschaft seit einigen Jahren startups. sie werden als kleine Firmen von Absolventen der technischen Hochschulen gegründet und von der Politik als ingeniöse Vorbilder für die Jugend angepriesen. wer ihnen nacheifern will, braucht nichts weiter als eine tolle Geschäftsidee zu entwickeln, welche er auf dem freien Markt so überzeugend feilbietet, bis sie ein mächtiges Unternehmen interessiert und für viel Geld aufkauft. vorwiegend sind es Applikationen für das Handy, die als Essensdienst oder Kulturfinder einen Service offerieren. oder es werden aktuelle Fashion-Outlets der Mode zu angeblich unschlagbar fairen Preisen herausgesucht. damit kann viel Geld verdient werden, wie jetzt sogar bei einer Software, mit der man knapper werdende Behörden-Termine bucht, die in Rathäusern immer rarer werden.
bei solchen Geniestreichen geht es nur noch um das schnöde Optimieren von Programmierungen. eine open-source-Szene, in der findige Tüftler einst mit Weltverbesserungsgedanken offen miteinander kooperierten, fristet ein unbeachtetes Nischen-Dasein. für das unbezahlte Tüfteln hat kaum jemand mehr Zeit. talentierte Menschen landen schnell in einer leidvoll auszuhaltenden Freiberuflichkeit und schlagen sich dann als prekäre Dienstleister durch das Leben. schlimmstenfalls kreieren sie für SEO-Agenturen Phantom-Texte für 9,5 Cent pro Wort oder sie layouten nervende Werbe-Banner.
meine Skepsis gegenüber dem Geldverdienen hat mich stets vor dem Schlimmsten bewahrt und mir eine berufliche Karriere erspart. zuweilen sorgt diese Haltung für einen Affront, Pragmatiker fühlen sich herausgefordert und wollen mir dann beweisen, dass man es zuversichtlicher sehen müsse. doch den Optimismus hat mir die DDR gründlich ausgetrieben. wurde man hier ausgezeichnet, machte man sich als Aktivist unbeliebt. es gab die Strasse der Besten, wo die Porträts von besonders verdienstvollen Arbeitern hingen, die als zweifelhafte Normbrecher verrufen waren, und auf Wandzeitungen durften sich Schreiber über sie auslassen, welche keine eigene Meinung hatten.
ich erwarte selten, dass Anstrengungen sich lohnen. pessimistisch nennen das viele. ich bevorzuge dafür das Wort realistisch. gut bin ich darauf vorbereitet, dass die Dinge schlecht laufen, und gern positiv überrascht, so es nicht der Fall ist. dies scheint vernünftig zu sein, entspricht freilich nicht der Vorstellung von einem glücklichen Leben. unzählige Studien versuchen zu belegen, dass ein gelebter Optimismus automatisch zum Erfolg führt und dass Optimisten gesünder sowie länger leben, mehr Freunde haben, beliebter sind und sogar bessere Intimbeziehungen führen. aber letztendlich wohl nur, solange sich jemand mit den Gegebenheiten gut zu arrangieren vermag. bleibt der Erfolg aus, dann ist er, weil er es nicht geschafft hat, selber schuld. also lieber nicht positiv denken. der Defätist überlebt distanzierter Krisen und darf allem misstrauen, nur nicht dem Misstrauen an sich.