überflieger in spe


(eine versuchte selbstheit)

fast jeder zehnte Doktortitel ist vakant, weil voller unkorrekter Zitate wahrscheinlich ein abgeschriebenes Elaborat. so meinen es jedenfalls Menschen, die es wirklich wissen wollen und Jagd auf Plagiate machen. dafür lesen sie freiwillig die langweiligsten Promotionsarbeiten von vor Jahren und besonders gern die von prominenten Politikern. bei ihnen ist schnell Beute zu machen. ein arroganter Verteidigungsminister, der seine Jugendsünde summa cum laude längst verdrängt hatte, musste daran glauben, eine altgediente Wissenschaftsministerin ebenso und jetzt steht eine taffe Verteidigungsministerin auf der Abschussliste, weil sie mit jungem Ehrgeiz für ihre Karriere nebenbei dissertierte. keiner Prüfungskommission, keinem gutbezahlten Doktorvater waren ihre faulen Belege aufgefallen. wer liest auch schon langatmige Fleissarbeiten, selbst wenn er sie als Lehrstuhlinhaber lesen muss.
dass in wissenschaftlichen Publikationen viel zitiert wird, hängt mit der Beflissenheit der Gelehrten und ihren Anwärtern zusammen. man benennt sich der gegenseitigen Reputation wegen und um Texte zu füllen, die umfangreich sowie detailliert zu sein haben. die alten Griechen kannten eine solche Buchhaltung des Wissens noch nicht. bei ihnen wurde alles Passende in den eigenen Schreibkanon eingemeindet und jeder ging davon aus, dass die Quellen bekannt sind. in der Literatur sind bis heute Adaptionen als abfischende Übernahmen gemein und wohlfeil wie das Salz, da sie wie schon 1673 Jakob Thomasius in seiner "Dissertatio philosophica de plagio literario" meinte, die Sache verfeinern. Cervantes, Dickens, Georg Büchner, Mark Twain und vor allem Brecht haben genial abgekupfert. ihre Plagiate waren nie ein Grund für ernste Vorwürfe, der kluge Leser hat sie im Gegenteil genossen, sobald er sie als solche erkannte. wer mag auch über Fussnoten in einem literarischen Text stolpern und den Meistern des Wortes überhaupt Anleihen verübeln. es ist immer lesenswert, wenn das Beste sich in einem Buch vereint. Schriftsteller müssen ohnehin viel lesen, um gut schreiben zu können, und infolgedessen ist das Gelesene vom selbst Geschriebenen schwerlich zu trennen. ein Autor, der unbewusste Übernahmen verhindern will, hätte erst alles schon Gedruckte aufmerksam zu recherchieren und alsbald aus seinem Kopf zu streichen, um unfreiwillige Übernahmen zu vermeiden.
ich gestehe an dieser Stelle freiwillig: gute Anleihen und Paraphrasierungen sind letztendlich niemals auszuschliessen und Grandioses wird nicht einmal, eher mehrfach erfunden. ein allzu solitäres Wissen in einem Text ist verdächtig und meist schwer kommunizierbar. gleichfalls kann es passieren, dass man nicht fremde Geistesblitze, sondern sich selbst plagiiert. wer lediglich partiell mit seinen Ansichten wahrgenommen wird, muss seine besten Einfälle wiederholen, und je öfter er sich auf diese Weise reproduziert, desto wiedererkennbarer und identischer wird er mit sich selbst. vielleicht eines Tages unverwechselbar prominent.