überflieger in spe


(eine versuchte selbstheit)

mir fällt es schwer zu warten, ich will augenblicklich von Erwartungen erlöst sein. deshalb habe ich meine Küche gestern gleich gemalert und nicht den Fussboden zuvor mit einer Folie abgedeckt. es sollte schnell gehen und muss nun mehrfach aufgewischt werden. bereits als Kind konnte ich mich nicht gedulden. ich öffnete die versteckten Geschenke für den Geburtstag oder das Weihnachtsfest vorher heimlich. dabei war ich unbeholfen, so dass die Schnüffelei bemerkt wurde und Ärger einbrachte. meine Unruhe war so gross wie mein Ungeschick und dementsprechend linkisch mein Gebaren. in der Küche durfte ich nicht helfen, vor allem nicht das gute Geschirr abwaschen, womit ich manche Missetat auszugleichen hoffte. ich war ein unverbesserlicher Tagträumer, der selten im hier und jetzt lebte.
daran hat sich auch in reifen Lebensjahren wenig geändert, noch immer möchte ich lieber dort sein, wo ich nicht bin. bei der Arbeit treibt mich meine Ungeduld an, ich will zu Ergebnissen kommen und stelle sie mir, falls es mit dem Laborieren zu lange dauert, einfach im Kopf vor. nur beim zweifelnden Räsonieren bevorzuge ich es wie Brecht, nicht gern da zu sein, wo ich herkomme, und auch nicht gern dort, wo ich hinfahre. die Dialektik eines real existierenden Sozialismus hat in Zeiten der visionären Leere sich solche Aporien geschaffen. man wollte den Status quo als Nische halten und hat, weil nicht viel zu erhoffen war, Erwartungen kleiner geschraubt. in der freien Marktwirtschaft wird die Haltung, sich bescheiden irgendwo einzurichten, eher bestraft. wer Unannehmlichkeiten wie zum Beispiel den nötigen Umzug in eine bessere Wohnung zu lange aufschiebt, findet eine solche kaum noch. hat man es in vergangenen Jahren bei mehr Lehrstand nicht geschafft, wird es unwahrscheinlicher, bezahlbar die Lebensqualität zu verbessern. es geht dann nur noch darum, bei steigenden Mieten den status quo zu halten.
unsichere Lebensphasen verleiten dazu, über zurückliegende Ereignisse zu brüten und die Zukunft zu bedenken. die meiste Zeit hat er dafür, wenn er auf Bahnhöfen verweilt und bei weiten Reisen auf den nächsten Anschluss wartet. viele Jahre erging es mir derart, als ich zur Berufsausbildung, zum Studium oder irgendwelchen Projekten durch das Land pendelte. sehr früh müsste ich aufstehen und in einem Transit-Dasein unausgeschlafen nach einer Ankunft streben. ohne elektronische Anzeigen sass ich schlecht orientiert in irgendeinem Zug. fuhr auf dem Bahnsteig der gegenüberliegende los, hatte ich das Gefühl mich rückwärts fortzubewegen. dieser Umschlag löste sich erst auf, als der eigene Zug anfuhr und dann der richtige war. oder auch nicht, so dass ein kompliziertes Umsteigen nötig wurde. einen nicht unerheblichen Teil meiner Lebenszeit verbrachte ich so, von einem Beruf in den nächsten wechselnd, von einer Wohnstadt in eine andere, von einem Abbruch zum nächsten. ein bewegtes Leben soll zwar, wie manche Bestseller-Therapeuten meinen, glücklich machen, da jedoch dauerhaft pendelnde Menschen meist unzufrieden sind, kann man sich dessen nicht so sicher sein.