überflieger in spe


(eine versuchte selbstheit)

ein Lehrer wollte er nie sein. trotzdem musste er mal einen pädagogisch mimen, als er Zeichenkurse in den Cottbuser Kunstsammlungen anleitete. es war eine staatlich geförderte Stelle und sie diente dem schnöden Verdienst, weil ihn das Arbeitsamt als einen Schwervermittelbaren ansonsten zu einem drögen Bewerbungstraining geschickt hätte. er übernahm den schlecht bezahlten Job von einem Autodidakten, der plötzlich Geld mit seinen Bildern verdiente und sich zur Inspiration in die Berge der Sächsischen Schweiz zurückzog. die Teilnehmer im Zeichenkurs waren auf einen schnöden Realismus getrimmt. sie malten ewig an einem Fantasie-Porträt und korrigierten jeden zweiten Strich mit dem Radiergummi. oder es wurden Blumen, Bäume, Hände und sonstiges, was die Vorlagen von Malschulen vorschlagen, steif abgezeichnet. solch einen Unsinn liess er nicht durchgehen. bei ihm hatte jeder mindestens fünf Bilder nach einer Stunde vorzuweisen und es wurde laut Musik gehört.
seine Methodik gefiel nicht allen, so dass sich die Reihen lichteten. doch es kamen neue Talente, die nach dem Abitur Kunst studieren wollten und denen sein Ansatz zusagte. als Festangestellte organisierten drei ausgebildete Kunstpädagoginnen die von ihm geleiteten Kurse. sie hatten in einem Büro ihre Buchhaltung und verliessen sie nur, um die Unordnung in den Arbeitsräumen zu bemängeln. ihm oblag der praktische Teil und sogar ein Töpferkurs, obwohl er jenes Handwerk überhaupt nicht beherrschte. es spielte indes keine Rolle, da besonders gern Kerzenständer und Aschenbecher gemodelt wurden. damit die Museen zu hohen Besucherzahlen kommen, müssen solche Ansprüche akzeptiert werden. das allzu Kapriziöse wird in Sonderausstellungen für die breite Masse mit verklärenden Interpretationen neutralisiert oder durch viel Multimedia-Zauber auf Spielerisches reduziert. die Jugend ist so zu ködern und in der Hoffnung auf die grosse Anerkennung, wollen immer mir Teenager Künstler werden. sie bewerben sich an staatlichen und privaten Schulen, um das Kreative professionell zu studieren. von Anfang an müssen sie sich gegeneinander behaupten, da es nur wenige schaffen, Meisterschüler zu werden und ganz wenige dann den Sprung in eine renommierte Galerie stemmen.
gelegentlich fragen ihn in einer Mail aufstrebende Nachwuchstalente, ob er ihre ersten Werke begutachten könne. sie landen vermutlich über meine Web-Adresse bei ihm und haben seinen Namen fleissig neben manch anderem Kollegen mit Suchmaschinen recherchiert. er warnt sie gleich vor seinen Ansprüchen, die überaus kritische sind und, was wohl eigentlich gewünscht wird, über keine weiterführenden Referenzen verfüge. es besucht ihn deshalb kaum jemand, um Rat zu bekommen. die nach Förderung Heischenden werden, falls sie nicht bei Leuten wie ihm aufgeklärt werden, Jahre benötigen, um die Sinnlosigkeit eines Karrierestrebens zu erkennen.