überflieger in spe


(eine versuchte selbstheit)

wenn man sich dumm stellte, hatte man als Soldat seine Ruhe. während seines Armeedienstes im mecklenburgischen Goldberg war es vorteilhafter, sich einer allgemeinen Idiotie anzuschliessen, als mit Fähigkeiten zu glänzen. die stolzen Alleskönner wurden zu strapaziösen Manövern geschickt oder hatten im Vergleich mit anderen Kompanien in Rekordzeiten Funkanlagen auf- und abzubauen. sie sollten als Vorbilder zeigen, wie es normgerecht zu handhaben sei. damit wurde ihr Können bestraft und als Herausforderung entwertet. der gewiefte Soldat orientierte sich an den erfolgreichen Drückebergern. mitunter war es jedoch in der Nationalen Volksarmee von Vorteil, etwas zu vermögen, was andere nicht drauf hatten. als man ihn nach einem Morgenappell fragte, ob ich Störungen in Telefonanlagen beheben könnte, verwies er auf seine Berufsausbildung und sagte nach kurzem Zögern zu. die Kommunikationszentrale von seinem Regiment befand sich in einem beklagenswerten Zustand. hier musste, da kaum gewartet, fast alles repariert werden. der dafür zuständige Feldwebel schien damit völlig überfordert und freute sich auf einen Beistand. nachdem er einige Kurzschlüsse beseitigt und die Sicherungen gewechselt hatte, durfte er in aller Ruhe die Anlage auf Vordermann bringen, und das besonders an Tagen, an denen seine Kompanie zur Sturmbahn marschierte. zuvor hatte er bei solchen Terminen eine Zahnbehandlung buchen müssen.
als es ihm sogar gelang, bei der Wache die ausgefallene Alarm-Vorrichtung, welche aus einem Kabelsalat von schlecht verlöteten Drahtverbindungen bestand, durch einen glücklichen Zufall in Betrieb zu setzen, war er privilegiert. er bekam eine Aussendiensterlaubnis und konnte, wann immer ich wollte, die verhasste Kaserne verlassen. sein Feldwebel unternahm mit ihm Dienstreisen und führte ihn in die Wohnungen von Offizieren, wo man in aller Ruhe Telefone austauschten und sich in manchem Kabuff eine ernüchternde Alkoholiker-Idylle offenbarte. seine Armee war im grossen wie im kleinen in einem desolaten Zustand. gewichtige Fahrzeuge wie die Schweine-Sils, die im Winter einen halben Liter Benzin pro Kilometer schluckten, wurden in Zeiten der Ölkrise mehr geputzt als bewegt und immer unbrauchbarer. aber nicht nur die Technik, selbst die dienenden Offiziere hatten sich aufgegeben. sie langweilten sich im Dienst, der nur aus Appellen und Schikanen bestand, unsäglich.
soweit war er noch nicht heruntergekommen und wollte es auch nicht. er arbeitete solide und ausdauernd. nach einer geraumen Zeit funktionierte trotz fehlender Ersatzteile die Telefonzentrale wieder und seine Hilfe schien nicht mehr erforderlich. er musste in meine Funkstörkompanie zurückkehren und wieder mobile Funkmasten aufbauen oder putzen. um dem drögen monatlichen Wacheschieben bei klirrender Kälte zu entgegen, griff ich auf einen alt bewährten Trick zurück. ich simulierte starke Schmerzen im Rücken so eindrucksvoll, dass man ihm eine Dienstbefreiung ausstellte. leider hatte er dann wirklich Schmerzen beim Stehen und Beugen, die ich noch Jahre später aushalten musste.