überflieger in spe


(eine versuchte selbstheit)

sein erstes richtiges Geld verdiente er mit Gedichten und Grafiken. nach dem Mauerfall veräusserte er einen selbst editierten Kunst-Almanach an zwei Westberliner Bibliotheken für die harte D-Mark und eröffnete ein Konto bei der Dresdner Bank. als er emsig Artikel für die Morgenpost schrieb, gingen weitere Überweisungen ein und erhöhten sein Guthaben. er kaufte sich in Kreuzberg zahlreiche Bücher und tippte, alldieweil er sie auch lesen wollte, kaum noch Texte für ein Zeilenhonorar. sein Kontostand verringerte sich unaufhörlich, sogar als er gar nichts abhob. die monatlichen Gebühren drohten das erstes Westgeld aufzufressen. jeden Monat schickte ihm die Bank einen Bericht zum aktuellen Saldo und kassierte dafür zehn Mark. der Service liess sich nicht abbestellen, da sich das Geldhaus, wie ihm erklärt wurde, zu diesem Dienst gesetzlich verpflichtet sah. erstaunlicherweise wurde die Währungsunion nicht zu ausgiebig debattiert, sondern kurzerhand vollzogen. er kündigte der teuren Bank und transferierte ein geschrumpftes Vermögen an seine Sparkasse.
so aber mit der neuen Währung die Preise und vor allem die Mieten stiegen, musste auch dieses Konto beharrlicher gefüttert werden. die Ersparnisse gingen für nachzuholende Reisen und ein neues Outfit drauf. in seinem Freundes- und Bekanntenkreis versuchten daher viele, den erfolgreichen Mittelständler zu spielen. sie wurden selbständig Versicherungsvertreter, einige Kneiper und andere Freiberufler im Kulturbetrieb. für den Start stellte das Land Fördergelder bereit. man musste Anträge stellen und wissen, wo dafür die Formulare bereitlagen. wer gut vernetzt war, verdiente sich bald dumm und dämlich. bloss die freien Künstler nicht. für sie gab es keine jährlich gesicherten Aufträge mehr, einzig die Hoffnung auf Stipendien und den richtigen Galeristen. bei geförderten Projekten bezahlte das Kultusministerium die Materialkosten und vergab Arbeitshonorare für zwei oder drei Monaten. davon konnte keiner leben, zumal die Vor- und Nacharbeiten ein halbes Jahr beanspruchten. aussichtsreicher schien es, für die eigene Bild-Produktion zahlungskräftige Sammler zu finden. ein stadtbekannter Maler in Cottbus, der sich als Opfer der Stasi sah und es tatsächlich ein bisschen war, verkaufte sogar seine Werke an einen, der als einstiger Offizier dieser Staatssicherheit sich nach der Wiedervereinigung zahlreiche Unternehmen aufgebaut hatte.
das Leben im Kapitalismus ist für frei arbeitende Kulturmenschen hart und ungerecht bis zum Lebensende. nicht einmal die Rente, welche bei vielen eine zusätzliche Riester-Vorsorge benötigt, ändert etwas daran. jeden Monat überweist er einen gerade so abzweigbaren Betrag für eine zu erwartende Aufbesserung. die Zinsen sind erbärmlich und die fest fixierten Kosten ein Diebstahl. jährlich bekommt er mit einem traurig stimmenden Bericht über bislang angesparte Einlagen eine Einladung zu einem Beratergespräch, in dem ihn ein gut bezahlter Angestellter zu höheren Ratenzahlung überreden will. er ignoriert daher stoisch seine Termine.