überflieger in spe


(eine versuchte selbstheit)

weil er nicht einschlafen kann, wälzt er sich in Erinnerungen, oder weil er Erinnerungen wälzt, kann er nicht schlafen. falls es doch endlich gelingt, wacht er bald verschwitzt auf und muss das Hemd wechseln. bewegt sich das Unterbewusstsein mit zu viel Einbildungsvermögen durch die Nacht, leidet es an Alpträumen, auch wenn dafür keine nachvollziehbaren Gründe vorliegen. vielleicht wollen dunkle Träume vor einem kommenden Unheil warnen, auf zu erwartende Leimruten hinweisen. oder sie versuchen, von latenten Konflikten abzulenken, und beamen den Geist dafür in andere Welten. in einer nächtlichen Traumwelt werden unmögliche Lebenssituationen dramatisch inszeniert und bisweilen entspriessen ihnen schöpferische Einfälle. die Nähmaschine und das Periodensystem sind einfach erträumt worden. Mendelejew suchte monatelang nach einer verbindenden Struktur der chemischen Elemente und sie wollte sich ihm nicht erschliessen. erst nach unzähligen fruchtlosen Grübeleien erschien in einem Traum das gesuchte System. Mendelejew wachte auf und skizzierte es auf einem Papier.
bei ihm klappt es nicht. da er nicht geistesgegenwärtig genug aufwacht und im Bett prinzipiell nichts notiert, verbleiben seine Eingebungen im Unbewussten. manches dunkel Imaginierte sollte wohl im Tiefen verharren und die besten Nachtphantasien behält man lieber für sich, damit sie die besten bleiben. der vergesellschaftete Mensch benötigt Träume, um peinliche Erlebnisse zu verarbeiten und um das erfolgreich Erworbene für weitere Anwendungen abzuspeichern. es werden neue Assoziationsbahnen erstellt und frühere Ereignisse wiederholt, damit sie demnächst bewältigt werden. in angenehmen Nächten sind es Sexualphantasien, falls ihr Äquivalent in der gelebten Realität fehlt. wäre man sich dessen bewusster, müsste sie gedeutet werden und schlimmstenfalls ganz ausführlich auf der Couch bei einem Analytiker. doch kein Traum ist so unsinnig wie seine Interpretationen und als nächtliche Erotik kein Beleg dafür, dass sich die aufregenden Abenteuer nur im Kopf abspielen.
imaginäre Erleuchtungen bleiben wie in der Kunst unzusammenhängend und nachhaltig interpretierbar. es ist bei den figurativen Malern momentan trendig, jeglich Erdenkliches miteinander zu kombinieren. der Leipziger Neo Rauch laboriert seit Jahren damit erfolgreich und ist ein Vorbild für die nacheifernde Generation geworden. in einer zeit- und ortlosen Motiv-Safari kompilieren sie alles mit allem auf Leinwänden. man begegnet in grossformatigen Bildern Napoleon, James Dean, Dostojewski oder einfach bloss Rumpelstilzchen und weiss nie genau, mit wem man es tatsächlich zu tun hat. die Sujets sind in einer bunten Theaterwelt fragmentierte Minidramen und mehrfach umcodiert. derart sehen manche Künstler gern ihre Umwelt. sie müssen keine Stellung beziehen und überlassen die Auslegung dem Betrachter, der es dann kauft und versucht daheim zu lösen. sieht er ein solches anything goes in einer Ausstellung, sehnt er sich nach dem schwarzen Quadrat von Malewitsch zurück.

trift