überflieger in spe


(eine versuchte selbstheit)

seine Wochenenden verbringt er im heissen Sommer gern an einem See. in und um Berlin sind einige zu finden, wo der Kreislauf zu einer Abkühlung und der Kopf zu einer Entspannung kommt. doch ist ein lauschiges Plätzchen in der urbanen Natur ausgekundschaftet, kann die Idylle einige Wochen später durch massenhaften Bade-Betrieb entwertet sein. es ist ein neuer Strand zu suchen, und wenn ihn ebenfalls viele entdeckt haben, erneut zu wechseln. öde ist es sowieso, sich andauernd am selben Ort zu erholen. man könnte sich gleich eine Datsche kaufen. derartiges behagt ihm überhaupt nicht. bereits der Gedanke an eine unentwegte Rasen- und Nachbarschaftspflege löst Panik aus. es ist anstrengend genug, die Pelargonien auf der Fensterbank täglich zu giessen. er liegt lieber auf wilden Wiesen oder auf solchen, die vom Grünflächenamt gepflegt werden.
richtig angenehm erscheinen die Seen, wenn die Schleusenwärter streiken. Motorboote, die meist Yachten sind, drönen dann nicht von einem Gewässer zum nächsten, sie bleiben am Steg oder ankern vor sich hin. diese Stille verspricht Erholung, insofern man mal unter wenigen weilt. ist es ihm nicht vergönnt, wird er zu Sozialstudien verführt. halbnackte Menschen offenbaren viel, selbst im dichten Gedränge führen sie sich als Familie wie in den eigenen vier Wänden auf. es stört sie nicht, dass sie andere mit ihren Streitereien oder permanenten An- und Absprachen nerven. aussichtslos ist es, vor sich hinzusinnieren oder ein Buch zu lesen. er muss die Unruhestifter beobachten: Mütter, die ihre Kinder ausdauernd massregeln, geschiedene Väter, die sie mit Eis bestechen und junge Mädchen, welche in aufreizenden Badekostümen über ihre ersten Liebeserlebnisse plaudern.
die Sommermonate werden heisser und schwüler. Hochdruckgebiete aus der Sahara lassen die Temperaturen auf unerträgliche Höhen klettern, und da die Menschen nicht darauf vorbereitet sind, können sie mit der Hitze nicht richtig umgehen. die Fenster werden, in der Hoffnung auf frische Luft, weit aufgerissen. man sollte sie besser erst nachts bei kühleren Temperaturen öffnen, so wie man auch keine eiskalte Drinks trinken oder klebrige Eiskugeln schlecken muss. der Körper meint nun, es wäre plötzlich zu kalt und schaltet die innere Heizung an. den richtigen Umgang mit der Hitze hat er sich vor zwanzig Jahren in Marokko und Andalusien abgesehen. hier wurde ein warmer, ungesüsster Pfefferminztee geschlürft. gekühlte Cocktails mixten Bar-Keeper in klimatisierten Hotels nur für die Touristen. in seinen Breitengraden hat sich ein professionelles Hitze-Verhalten noch nicht verinnerlicht. es wird lieber gelitten und geklagt. die Landschaftsplaner haben hingegen die Tendenz erkannt und forsten jetzt den Grunewald aus, so dass überall Laubbäume wachsen können. in etwa 50 Jahren werden wir das mediterrane Klima von Rom im Sommer haben. die heimisch gewordene Kiefer ist für diese Wandel nicht geeignet, weil schlicht überfordert, sich auf weniger Wasser, höhere Temperaturen und stärkere Stürme umzustellen.