überflieger in spe


(eine versuchte selbstheit)

für die Werbung ist der Mensch ein Jäger und Sammler geblieben. sein Unterbewusstsein wird mit Schnäppchen geködert, die zu Hamstereinkäufen verführen sollen, welche eigentlich nur in einem planwirtschaftlichen Land wie die DDR einen Sinn ergeben. im ostdeutschen Sozialismus regierte der Mangel und fast jeder hortete sogar aktuell nicht Brauchbares, um es gegen anderes einzutauschen. in einer Überflussgesellschaft wird mehr aus Spass als aus einer Not heraus gekauft. es geht darum, Seltenes zu finden und um das Zusammenstellen von Disparaten. dafür werden keine Kosten und Mühen gescheut. stösst man auf eine Rarität, ist der Adrenalinstoss durchaus vergleichbar mit dem eines Steinzeitmenschen, wenn er mit viel Geduld endlich einen Mammut erlegte. stellt sich dieser Kick nicht ein, vertreibt das Sortieren wenigstens die Langeweile.
bei mir waren es Briefmarken, mit denen ich mir als ein sich langweilender Heranwachsender ein erstes Weltbild zusammenphantasiert habe. vor allem Tiermotive hatten es mir angetan und wurden emsig ertauscht oder vom Taschengeld gekauft. ich besass drei Alben und sortierte da alles rein, was ich bekam. es wurde ein Katalog angeschafft, um die Marken zu systematisieren. so lernt man Ordnungssinn, der schnell zu einem Zwang auswächst. viele Wochenenden habe ich mit dem Ordnen verbracht und meine Eltern freuten sich, weil jenes Hobby ungefährlicher war als mein Experimentieren mit dem Chemiebaukasten. die Verwandtschaft sowie Kollegen meiner Mutter sammelten für mich mit und reichten ihre Briefumschläge weiter, von denen in einem Wasserbad die Marken abgetrennt und auf Zeitungen getrocknet wurden. ich kombinierte Baudenkmäler mit Kunst-Ikonen, kolorierte Willy Brand-Konterfeis steckte ich neben die von Walter-Ulbricht. irgendwann gesellten sich Hitler-Köpfe hinzu, die ein Freund im Keller seiner Eltern fand. aber primär breitete sich Pflanzliches in meiner Sammlung aus. besonders viele Kakteen erreichten mich, die damals nicht nur in jeder Wohnung, sondern in den Büros und zahlreichen Sukkulenten-Schauen aus welchen Gründen auch immer sehr in Mode waren.
beim Sammeln habe ich mich nicht spezialisiert, es wurde alles mit allem vereint. irgendwann fand ein Mitschüler bei einer Altstoffsammlung Inflationsgeld, das uns ungemein beeindruckte. bereits mit einem Schein waren wir Milliardäre geworden. doch wurde schnell klar, dass jene Noten eine ähnliche Aura hatten wie das DDR-Geld, das sich auch auf einen nebulösen Wert reduzierte, wenn man über keine exklusiven Beziehungen verfügte. auf dem Schwarzmarkt würde es eins zu zehn gegen die D-Mark umgetauscht, damit die Eltern zu Autoersatzteilen kamen oder einen Handwerker bezahlen konnten. inzwischen ist die eigene Währung eine hart konvertierbare, doch in Zeiten der Finanzkrisen, wo Zentralbanken monatlich Milliardensummen in die Märkte pumpen und faule Kredite aufkaufen, um Banken über Wasser zu halten, traut man dem Papiergeld immer weniger. es wird sicher in Gold oder mit dem Beton von Immobilien angelegt. für Kredite sind bei einer Bank keine Zinsen mehr zu zahlen, mancher Unternehmer bekommt sie obendrauf, insofern er sich entsprechende Summen leiht.