überflieger in spe


(eine versuchte selbstheit)

Kochen gelernt hat er, als ab der sechsten Klasse das ausgehändigte Essensgeld für Zigaretten abgezweigt wurde. was davon übrig blieb, musste für Tütensuppen oder Spaghettis reichen, die bei irgendwem zu Hause in einer Familienküche sich zubereiteten liessen. das war gemeinschaftsstiftend, doch für die heimkehrende Mutter ein ziemliches Ärgernis, da man die Wurfprobe für das Garwerden der Nudeln praktizierten. blieben sie an der Wand kleben, waren sie durchgekocht. es wurde fortwährend die Küche gewechselt, so dass jeder die Konsequenzen auszubaden hatte. später in einem Schweriner Internat kam Anspruchvolleres auf den Herd. er lernte in einer Gemeinschaftsküche Mehlsossen anzuschwitzen, die Leber erst in der Pfanne zu salzen, damit sie nicht bitter wird, und ein Schnitzel auf medium zu braten. die Tomatensosse würzte man für Partys bevorzugt mit Peperonis und ermittelte, wer es ganz, ganz scharf vertrug. sehr manierlich speiste ermit einem Freund in Uhles Weinstuben, wo köstliche Fleischgerichte mit Kartoffelbällchen alle vier Wochen den Gaumen labten. es war im Vergleich zu heutigen Preisen günstig, nur bei einem kargen Lehrlingsgeld ein ziemlicher Luxus, den man sich gerade deswegen leistete.
seine Kinder bevorzugen, obwohl seine Küche inzwischen ein breites Menü anbietet, neben der pragmatischen Tiefkühlpizza vor allem Spaghettis mit viel Ketchup als Sosse. ihre Freunde, selbst wenn sie italienischstämmig sind, wollen die Nudeln ebenso. sie halten es wie Wittgenstein, dem die Lieblingsspeise egal war, sie musste nur immer dieselbe vertraute sein. beim Fisch und geräucherter Tofu, den er immer wieder in seiner Familie auftische, stösst er auf wenig Gegenliebe.
er wurde ein Geniesser der feinen Kost, als er mit einer Freundin zusammenlebte, die nicht gern Antibiotika aus der Massentierhaltung zu sich nahm. sein Magen freute sich über diesen Wechsel. er bekam allzu lange Koteletts mit zerkochtem Gemüse gereicht. seine Mutter hat es derart zubereitet, damit sie das Gefühl hatte, man könne es sich leisten. von dem vielen Fett musste er sich kurieren, indem er einige Jahre vorwiegend Vegetarisches sich einverleibte. die Verdauung funktioniert seitdem wieder vortrefflich. aus Gründen der Sparsamkeit wird in seinem Haushalt sowieso weniger Fleisch gegessen und kaum ausserhalb. muss es schnell gehen, setzt er Haferflocken mit Milch an. sie sind nahrhaft und in notorisch unterfinanzierten Phasen waren sie neben zwei- oder drei-Tages-Eintöpfen meist das Bezahlbare. das Geld ging für Bücher drauf oder wurde in Caféhäusern verplempert. an der täglichen Nährung musste gespart werden. daran hat sich wenig geändert, und so leidet er nicht an Fettleibigkeit, während insgesamt die Zahl der Übergewichtigen und die der Magersüchtigen zunimmt.