überflieger in spe


(eine versuchte selbstheit)

was man alles meint, meinen zu müssen, und welche Wetten man daf6uuml;r abschliesst. meist wird auf vakante Fussballvereine und unvorstellbare Torverhältnisse gesetzt oder darauf, dass bei einer Quote von 1 zu 150 eine alternativlose Bundeskanzlerin zurücktritt, wenn bei der Weltmeisterschaft das Nationalteam gegen eine ganz schwache Mannschaft verliert. Wagemutige spekulieren sogar darauf, dass sich das argentinische Idol Diego Maradona im Achtelfinale traut, eine Zigarre zu paffen. hat er aber noch nicht, obwohl er sonst überall eine verraucht und recht kühn auftritt. mit noch viel kurioseren Wetten unterhielt unzählige Jahre eine fulminante Fernsehshow ein breites Publikum. wer hier verlor, musste sich ziemlich nackig machen und sogar mit Hodenhaltern blamieren. über kurz oder lang waren es die Moderatoren, die das Ansehen beim Publikum verloren und die Sendung aus dem Ruder laufen liessen. dieses Jahr wurde sie jedenfalls endgültig eingestellt.
doch warum wetten Menschen überhaupt? aus Langeweile oder wegen einem angeborenen Spieltrieb? es ist immerhin ein probates Mittel, um unter rechthaberischen Menschen einen Streit zu beenden. man wettet auf seine Meinung und hat, dieweil man mit ihr richtig liegt, nicht nur Recht, sondern obendrauf etwas gewonnen. manche untermauern auf jene Weise schwierige Vorsätze, um zum Beispiel endlich mit dem Rauchen aufzuhören. gelingt es ihnen nicht, bestrafen sie sich selbst. als Neunjähriger wettete er gegen seinem Stiefvater, dass man in Berlin mit der U-Bahn kostenlos fahren könne. er dachte, es so sei, da bei seinen Reisen in der Hauptstadt nie Tickets gekauft wurden. aber weit gefehlt, sie waren nötig oder bei Ausflügen mit dem Zug die Bahnfahrkarte, bei welcher der Fahrpreis für den Nahverkehr mitbezahlt wurde. er hatte theoretisch 100 Mark verloren und das Selbstvertrauen war angekratzt. dennoch kann ein eigenwilliges Zocken für ihn stimulierend sein. im Bekanntenkreis avisiert er gelegentlich aufgeschobene Vorhaben und spekuliert damit, demnächst Ergebnisse vorlegen zu können. da er kein Aufschneider sein will, wächst die eigene Motivation und dementsprechend das Arbeitsvermögen ungemein.
auf Finanzmärkten sind gewagte Spekulationen etwas Normales. wird gegen Währungen wie den Dollar und gegen Bonitäten von hochverschuldeten Staaten gezockt, lohnt es sich selbst bei klitzekleinen Gewinnmargen, insofern immense Summen eingesetzt werden. wohl deshalb können es sich wie beim Wetten auf künftige Lebensmittel-Preise zuvörderst Hedgefonds leisten. die höchsten Gewinne sind bei überraschenden Abstürzen bzw. Katastrophen zu erwarten. es handelt sich um Teufelswetten, bei denen Broker Preisblasen inszenieren und wie in Goethes Faust ihre Seele an Mephistopheles versetzen. er war ja am Ende ein ziemlich erfolgreicher Kapitalist, für den das Geld zum Geist aller Dinge mutierte. trotzdem wurde seine Seele gerettet. den heute agierenden Finanzhaien ist wahrscheinlich ihre Auferstehung egal, sie wollen sich im hier und jetzt als clevere Hasardeure miteinander messen.