überflieger in spe


(eine versuchte selbstheit)

das Fernsehen war in seiner Kindheit lange Zeit schwarz-weiss und beim West-Programm, wenn der Empfang der selbstgebauten Balkon-Antenne schwächelte, griesselig grau. dies hielt niemanden davon ab, Ausgestrahltes ausführlich zu beschauen und noch ausführlicher, als es klarer wurde, weil über die Gemeinschaftsanlage auf dem Dach zu bekommen. man glotzte sogar die Werbung, bis man sie mitsprechen konnte. familiäre Gepflogenheiten hatte sich an Sendezeiten zu orientieren, so dass ein Familienmahl pünktlich vor dem angekündigten Abendfilm endete. Kinder durften eine halbe Stunde mitgucken und danach heimlich, was die müden Eltern entweder nicht mitbekamen oder faul ignorierten. am nächsten Tag wurde es in der Schule ausgiebig kommentiert und bewertet. viele waren dem gleichen Programmangebot verbunden, das Anfang der 80er Jahre entweder in West-PAL oder Ost-SECAM die Wohnzimmer erreichte.
mittlerweile ist das öffentlich Gesendete nichts Aufregendes mehr. man will es auch kaum noch gemeinsam sehen, lieber allein. das Angebot offeriert sich zu vielfältig, so dass von einem zum anderen Sender gezappt wird. der Betrachter sitzt nicht vor einem grossen Bildschirm, sondern vor dem Laptop und sieht gestaffelt das Aktuelle nebst dem vorwärts- und zurückklickbaren Filmangebot. die ständige Verfügbarkeit generiert eine Vertagbarkeit. was ich mir heute nicht anschaue, verpasse ich nicht, ich kann das in Mediatheken Gespeicherte auch morgen in Ruhe begutachten oder übermorgen. das Fernsehen schafft es einzig noch, bei Fussballspielen oder aussergewöhnlichen Katastrophen die Volksseele zu vereinen. der typische Zuschauer ist ein sich langweilender Single, der unzufrieden bleiben will, und das meiste schaut er häppchenweise, um stets festzustellen, dass es sich überhaupt nicht lohnt. er verachtet bunte Shows und möchte sie wie bei der Sendung "Wetten, dass..." mit Petitionen abschaffen. solche Haltungen wollen die Sender nicht dulden. sie kämpfen gegen das nachlassende Interesse mit Angeboten, die Stars oder durchschnittliche Freaks in Reality-Shows vorführen. die Kanäle versuchen immer schriller zu verlocken und werden gespreizt befremdlicher.
seine frühere Kommilitonin Kristin Otto hat in der ZDF-Sportreportage rasch Karriere gemacht. als mehrfache Schwimmweltmeisterin und sympathisch aussehende Frau war sie für den Beruf der Sport-Journalistin prädestiniert. da er sich für das professionelle Schwimmen überhaupt nicht interessiert, hat er sie nach dem Studium aus den Augen verloren und nach ein paar Jahren auf dem Bildschirm nicht wiedererkannt. obwohl er zehn Semester mit ihr in Hörsälen sass und nach Seminaren manchen Kaffee trank, war sie auf dem Bildschirm eine Unbekannte geworden. er sah eine mit Schminke zugekleisterte Moderatorin, die wie eine Puppe agierte. diese Unwirklichkeit war nicht zu ertragen und wurde schnell weggezappt.