überflieger in spe


(eine versuchte selbstheit)

seine ersten Bilder, die eingehend gelobt wurden, malte er mit sieben Jahren in einem Schulhort. er kopierte das illustre Propaganda-Material, das überall in Zeitschriften vorlag und an den Wänden hing. im Abmalen war er talentiert und wagte sich sogar an Reproduktionen der Alten Meister. sinnbildliche Kopien gefielen den Pädagogen aber mehr. da er für sie auch Preise bei Mal-Wettbewerben bekam, zeichnete er freiwillig eine innige Umarmung des Berliner mit dem Moskauer Fernsehturm oder Friedenstauben, die einen Sowjetstern figurierten. es wurde definitiv übertrieben und quasi persifliert, doch hat es keiner bemerkt oder wenigstens nicht moniert. ihn selbst befriedigte das Plakative auf die Dauer wenig. er freute sich nur, falls sich andere darüber freuten und wenn der Zeichenlehrer meine Fabrikate sehr gut benotete.
für sich selbst entwarf er nach der Schule gern mit dem Lineal U-Boote oder Raumschiffe. die Technik von morgen fand er faszinierender, so er schon damals die Erfinder für die wahren Künstler hielt. sich etwas auszudenken, was noch nicht vorliegt, ist eine grössere Leistung, als das Gegebene bloss zu verbildlichen. man kann mit einer fiktiven Kreation, falls sie einen Worb-Antrieb bekommt und bizarr geformt ist, dem Erd-Alltag träumend entfliehen. er benötigte nur einen Bleistift, um in ferne Galaxien oder in Geosphären reisen, die auf keiner Landkarte verzeichnet sind. Phantasie und Langeweile hatte er genug, um mir etwas auszudenken. mit meinen Zeichnungen war er auf der Flucht und habe mir, indem er sie mir vortäuschte, eine andere, eine poetisch gefühlte Welt geschaffen. bewohnen konnte er sie nicht, lediglich erahnen und sich für ein Doppelleben fiktiv voraussetzen. als Spätentwickler beanspruchte er noch zahlreiche Ausstellungsbesuche und Lebenserfahrungen, um in die Kunst zu passen.
er musste das Sehen lernen und meine Introvertiertheit überwinden. wer in sich versunken ist, verbleibt im eigenen Dunstkreis, der bei mir lange aus verklärten romantischen Gefühlen bestand. es wurde das Magazin Bildende Kunst in der Bibliothek zur Pflicht-Lektüre und, als er es sich leisten konnte, abonniert. die Avantgarden der Moderne, die in meiner Schule überhaupt nicht vermittelt wurden, konnte er hier ausgiebig erkunden. als Zaungast besuchte er irgendwann in Dresden Abendschulkurse an der Kunsthochschule und übernachtete bei einer Freundin, deren Vater mit den damals prominenten Avantgardisten Penk und Peter Graf verkehrte. bei jeder Gelegenheit diskutierte er inmitten eigensinnigen Freaks über geplante Projekte. eine unglaubliche Vielfalt an Ideen, welche einen geistigen Widerstand ausprobierte, erregte von früh bis spät seinen Bekanntenkreis. manche spielten den politischen Partisanen, andere hofften auf eine rein ästhetische Revolution und die Talentierten wollten sich dabei als Protagonisten profilieren. allein ihm fiel nichts Rechtes ein, er beobachtete aufmerksam das Geschehen um sich herum. als ein Träumer verbrachte er sein Dasein in den schattigen Spalten von umtriebigen Menschen und hat erst spät für sich das professionelle Bilderproduzieren als Rückzugsgebiet entdeckt.