überflieger in spe


(eine versuchte selbstheit)

in jungen Jahren neigte er sehr dem roten Wein zu. das kostete mehr als das übliche Biertrinken und war, wenn man eine Party gab, bei zehn bis zwanzig Flaschen eine ziemliche Ausgabe. also beschloss er, wie einige Kollegen am Theater als Obst-Winzer für solche Festivitäten vorzusorgen. über Beziehungen wurden ein 10-Liter-Ballon und Gärröhrchen angeschafft. nach dem ersten Frost sammelte er Hagebutten, die am Rande von Schrebergärten üppig wuchsen, und zerkratzte sich ungeübt darin gehörig die Hände. mit einem Pfund Zucker und einer aus der Drogerie besorgten Wein-Hefe setzte er die Beeren als Sud an, auf dass er fünf, sechs Wochen vor sich hin gluckerte. das Verlangen zu kosten war immens, liess sich indes in die Schranken weisen und meine Geduld wurde mit einem gut mundenden Wein belohnt, der leider bald zur Neige ging.
bei der zweiten Gärung öffnete er zu früh meinen Ballon. er konnte es nicht erwarten und wartete nicht ab. es störte allerdings niemanden. bei unseren Feten wurde der Wein, egal wie sauer oder süss er ausfiel, ausgiebig getrunken. da es leichter zu bewerkstelligen war, verlegten sich Mutige auf einen schnell gärenden Brot- oder Reiswein, der sonst nur in Gefängnissen angesetzt wird und nicht ganz ungefährlich ist. am nächsten Morgen hatte man ziemliche Kopfschmerzen und ein arges Sodbrennen. über kurz oder lang wurde bei Zusammenkünften wieder Bier getrunken, das zwar damals nicht dem Reinheitsgebot unterlag, doch mit einem hochprozentigen Klaren kombiniert immer schmeckte. man musste auch weniger trinken, um duhn zu sein. der Alkohol war neben dem Nikotin nach aufreibenden Proben im Theater eine obligatorische Entspannung und wurde immerzu in kleinen oder grossen Runden konsumiert.
einen Bierrausch gönne er mir derweil einzig noch an hyperaktiven Tagen zum Einschlafen. die innere Erregung muss betäubt werden, damit Träume nicht wild ausufern und der nächste Tag als kein zerknautschter für den eigenen Arbeitstrott ausfällt. blaue Montage sind auf die Dauer nicht zu akzeptieren und hemmen die Entwicklung immens. in seiner Umgebung tummeln sich dafür einige abschreckende Beispiele, welche als kreative Eigenbrötler täglich in Kneipen verkehren und kaum noch die Konzentration für geistig Herausforderndes aufbringen. Drogen lassen zwar bei mehr Selbstbewusstsein Einfälle ungehemmter spriessen, doch nach einigen Jahren nur in der Einbildung. bei mir keimen sie ohne Hilfsmittel, und seine Umwelt sieht er lieber so, wie sie sich tatsächlich zeigt, nämlich nüchtern. das gilt auch für Partys, wo er an Gläsern lediglich nippt und das Zuprosten homöopathisch zelebriert. man muss sich nicht alkoholisieren, um eine künstliche Fröhlichkeit zu ertragen. eine solche Heiterkeit ist gut vorzutäuschen, während die tägliche Arbeit mich ohnedem bei zu viel Adrenalin im Blut puscht.