überflieger in spe


(eine versuchte selbstheit)

Erdbestattungen werden teurer, wie so viele Dienstleistungen, wenn die Grundstückspreise allerorten steigen. der Preisanstieg ist bei Beerdigungen jedoch ein exklusives Problem. es gibt zu viele alternative Beisetzungen und immer mehr Leerstände auf den Friedhöfen, so dass eine mangelnde Auslastung bei bleibenden Kosten zu einem Preisanstieg führt. wer das traditionell einfache Begräbnis bevorzugt, kann es sich nun nicht mehr leisten und entscheidet sich unfreiwillig für eine anonyme Verbrennung. oder die Angehörigen wollen es so, weil kein ausreichendes Erbe vorliegt. in einigen Gemeinden darf man sich inzwischen auf dem eigenen Grundstück beisetzen oder die Asche einfach verstreuen lassen. danach fallen überhaupt keine zusätzlichen Gebühren an. auch ist das Verbrennen wegen der im Laufe des Lebens konsumierten Konservierungsstoffe, mit denen Leichen langsamer verwesen, für die Nachwelt umweltfreundlicher. lebenslang muss für das schützende Gehäuse der Leiblichkeit eine Miete gezahlt werden, darüber hinaus ist es wohl egal, wie man sich pantheistisch vermischt. also lieber ökologisch mit dem Wind nirgendwohin.
zu Beerdigungen hat man ihn bisher selten eingeladen. die Menschen leben länger und sterben in seinen Kreisen kaum, obwohl sie häufiger über Krankheiten und die Rente reden. seine letzte Bestattung liegt Jahrzehnte zurück und er kann sie nur schwer erinnern. sie betraf einen Freund, der sich aus Überdruss im gerade wiedervereinigten Land das Leben nahm. dabei hätte er bei seinem Talent ein angesehener Künstler werden können. wer mit solch einem Vermögen ausgestattet ist, muss ausdauernder sein, dann kommt der Erfolg irgendwann von allein und man stirbt als Prominenter; wie so viele aus der vorangegangenen Generation jetzt. die alte Garde der Dichter und Denker kennt der neue Zeitgeist noch und feiert sie mit mehrspaltigen Nachrufen im Feuilleton oder mit einem "Rest in Peace" in den sozialen Medien. kaum eine Woche vergeht, in der nicht ein bedeutender Romancier, Philosoph oder Schauspieler mit breiter Anteilnahme aus dem Leben scheidet. sie segnen nicht nur das Zeitliche, sondern stehen für vergangene Ansprüche. mit ihnen wird eine Ära zu Grabe getragen, an die sich viele gern erinnern, da sich in ihr das Aussergewöhnliche als Feinsinniges zu Wort meldete.
die Nachrückenden im Kulturleben werden, egal wie fleissig sie sich abstrampeln, solch einen Bekanntheitsgrad nie erreichen. sie werden sang- und klanglos abtreten und eine kürzere Halbwertszeit für eine Prominenz akzeptieren müssen. Bekanntheit ist nur noch als ein kurzweiliges Medienprodukt zu haben und es wird bei einem Überangebot an Highlights sowie Talenten unwahrscheinlicher, überhaupt ein Publikum zu finden. mithin sich das Konzentrationsvermögen bei Menschen nicht unaufhörlich steigert, bleibt die Aufmerksamkeit eine begrenzte Ressource und wird unter vielen Namen demokratisch aufgeteilt. wer etwas zu sagen hat, muss es unaufhörlich wiederholen. am besten funktioniert das Repetieren im Internet, wo jeder sich selbst aufrufen kann und je öfter er es macht, desto bestplatzierter bei den Suchmaschinen erscheint.