petting des ich


(ein investigativer rückblick)

noch immer habe ich es nicht weiter als bis nach Berlin geschafft. das ist für einen in der Lausitz Geborenen und dort Aufgewachsenen kein grosser Wurf. meine Vorfahren haben, um hierher zu gelangen, unter beschwerlichen Umständen viel weitere Distanzen überwinden müssen. sie kamen in den Jahren der Wirtschaftskrise aus dem Pommern- und Schlesierland, es wurden Weltkriege überlebt und mit der Hoffnung auf eine bessere Existenz das Vertraute aufgegeben. freiwillig verliessen sie ihre angestammte Heimat nicht und glücklich wurden sie als neuangesiedelte Kleinstädter oder Neubauern in einem administrativen Sozialismus selten. für mich gab es bei jeder Reise eine Rückfahrkarte und dennoch hat mich das Unterwegssein eher verunsichert als beflügelt. meine Reisefaulheit ist keine Bodenständigkeit, vielmehr ein stoisches Festhalten am Gewohnten. selbst im drögen DDR-Alltag, aus dem sich frustrierte Bekannte und Freunde mit einem Ausreiseantrag wegbeamten, hat es mich bis zum Ende gehalten. mir reichten fesselnde Bücher und Theaterabende aus, um einem eingrenzenden Einerlei zu entfliehen. ich harrte auf der drögen Titanic aus und durfte ich den lange nicht absehbaren Untergang miterleben.
doch wozu ist man ein Bleibender in seinem Dasein? zum Schauen des Gewöhnlichen und weniger Gewöhnlichen, also der vorüberziehenden Wolken sowie Mitmenschen. so kann eine Seele auf lange Sicht kaum enttäuscht werden und zu tieferen Erkenntnissen gelangen. das behauptete einst Freund Hüge, der in naiven Jahren aus familiären Gründen vom Westen in den Osten eines geteilten Landes weggelaufen war. als er wieder zurückwollte, wurde er wegen eines unerlaubt geplanten Grenzübertritts (versuchte Republikflucht hiess das offiziell) verhaftet und in Frankfurt an der Oder für drei Jahre eingesperrt. hier bekam sein Leben eine neue Bestimmung, als er in einem Zirkel schreibender Gefangener erkannte, dass er ein Schriftsteller sein könnte. dank erträglicher Jobs, welche Freiraum für das schreibende Phantasieren liessen, gelang es ihm tatsächlich beim Aufbau-Verlag. er entwickelte sich zu einem leidlich anerkannten Vertreter der DDR-Literatur. mit seinen Gedichten kam er sogar in eine westdeutsche Anthologie und nach der Wende endlich sein lang versprochenes Knastbuch heraus.
alles hat seine Notwendigkeit, auch die Notwendigkeit an sich. sie muss zeigen, dass langfristig das Sinnlose notwendig war. oder jedenfalls nach zahlreichen Jahren in einer Vita, ob mit einem Unterwegs-Sein ohne Ankommen oder einem permanenten Ankommen, ohne viel unterwegs zu sein. es sind Holzwege zu gehen, die sich rückblickend als unerlässliche Nebenwege erweisen. eine solche Migration wird zu einer Herausforderung, falls die richtige Heimat stets dort ist, wo wer niemals sein kann, ergo schwerlich dort, wo er sich gerade aufhält. wer jene Diskrepanz auszuhalten hat, muss sie nachhaltig positiv interpretieren, oder es erwächst aus der Summe aller Einzelheiten ein bedrohlicher Zerstörungsprozess.