petting des ich


(ein investigativer rückblick)

seine erste Zigarette wie das erste verhustete Gedicht und den ersten Koitus gibt es nur einmal. die Erinnerung daran wird man jedoch nicht los. wie auch jenen stetig wiederkehrenden Alptraum, nichts für den missliebigen Chemieunterricht gelernt zu haben oder für das Fach Russisch trotz umfangreicher Mühen keine Vokabeln zu behalten. es sind die schmählichen Misserfolge, die peinigend in Erinnerung bleiben, während beglückende Momente mählicher verblassen. sie werden abgetrennt von vorausgehenden Mühen zu schönen Anekdoten und verlieren an Glaubwürdigkeit. nur Blamagen bleiben nachhaltig authentisch und es lässt sich kaum etwas im Nachhinein daran ändern.
die meisten Demütigungen hat er als Kind eingesteckt, als er sie nicht selbstbewusst kompensieren konnte. so prägen primär Fehlschläge ein Leben und sind bei nächtlichen Schlafstörungen unentwegt zu bewältigen. erst das Erwachsensein ist imstande, souverän auf Kränkungen zu reagieren. wer in reifen Jahren Unangenehmes erleidet, weist Beschämungen mit Erfolgen auf anderen Gebieten in die Schranken. den Prominenten im Show-Business gelingt es vortrefflich. ihre öffentlichen Blamagen sind eine gespreizte Distinktion, wenn sie in Talkshows oder Dschungelcamps mit jeder weiteren Folge Schamloses unverfrorener zur Schau stellen. als Gegenleistung bekommen sie eine Millionen-Einschaltquote und gut dotierte Gagen. der empfindsame Zuschauer darf sich entweder fremdschämen oder Schadenfreude empfinden. das breite Publikum unterhält es dessen ungeachtet hervorragend. mancher sieht solche Entblössungen sogar als Vorbild und möchte gleichermassen lieber peinlich als langweilig sein. die Intimitäts-Scham sorgte ursprünglich dafür, dass der Mensch seine seelischen Grenzen wahrte. in einer Gesellschaft des permanenten Spektakels haben sich diese so arg verschoben, dass es den Anschein hat, es gäbe sie nicht mehr.
mit Ironie wird in den medialen Weiten ein peinigendes Schamgefühl bewahrend aufgehoben. somit verbleibt es in einem tragischen An- und Fürsich. Unangenehmes ist leichter mit einer distanzierten Haltung zu ertragen. als sensible Seele versucht er, Kummer aufzuschreiben, um ihn zu bewältigen und dennoch nicht zu verlieren. soll er richtig verarbeitet werden, muss alles in einer Autobiographie detailliert festgehalten sein. man darf sie aus Gründen der Authentizität nicht zu spät beginnen. das Alter relativiert allzu Unpassendes. wie auf einer ewigen Baustelle werden prekäre Tatsachen vor- oder rückdatiert, damit sie den Kontext nicht durcheinander bringen. das gelebte Leben ist eine Tragödie, lesbar formuliert eine Komödie und kurzweilig vorgetragen eine anekdotische Trivialisierung, die einzig das kolportiert, was unverfänglich beeindruckt. je mehr einer über sich spricht, desto mehr Schein sondert er im Laufe der Jahre ab, und wer seine Bekenntnisse zu lange für sich behält, hat entweder zu wenig erlebt oder zu viel Verbittertes.