petting des ich


(ein investigativer rückblick)

seine Kleidung ist keine Distinktion. sie ist eine preiswerte Konfektion, fällt aber auf, wo sich eine Mehrheit gestylt in der Öffentlichkeit spreizt. als Jugendlicher hat er darunter gelitten, wegen mangelnder Westverwandtschaft keine Marken-Jeans und knallfarbigen Shirts tragen zu können. was seine Mutter für ihn kaufte, war betrüblich unmodisch. er entdeckte irgendwann die alten Jacketts und steifen Hemden von seinem Opa. sie waren praktisch und, da aus gutem Material, weiterhin strapazierfähig. er musste nicht in Boutiquen pilgern, war unabhängig vom gängigen Look apart ausstaffiert. bei sympathischen Mädchen fiel man damit auf und ebenso bei Lehrer, welcher dies als eine Provokation empfanden.
bis heute kann er mit einem schlichten Anschein Menschen überraschen. sie müssen ihn als einen ganz anderen wahrnehmen, so er mit ihnen ad hoc Konversation betreibt. Vorurteile, die sich auf ein Erscheinungsbild beschränken, geraten ins Wanken und sein Auftreten zu einer Überrumpelung. es funktioniert, wo jeder ein Opfer seiner Voreingenommenheit ist. in Cottbus stiess er einmal in einer konspirativen Runde auf den klugen Essayisten und Bulgakow-Übersetzer Ralf Schröder. seine verschlissene Erscheinung stand im schroffen Gegensatz zu einem beachtlichen Sprach- und Denkvermögen. wer ihn nicht kannte, war verwundert, wenn er aus einem schmutzigen Stoffbeutel seine Bücher sowie Notizen auspackte und zum Reden anhub. eine solche Verlotterung war keine Koketterie, sondern der Habitus eines entspannten Alkoholikers, der wegen seiner intellektuellen Redlichkeit sechs Jahre in Bautzener Einzelhaft verbracht hatte.
es war Pierre Bourdieu, der darauf beharrte, dass sich im Habitus die Einteilung der Gesellschaft in Klassen und soziale Schichten manifestiert. am Beginn des 21. Jahrhunderts haben wir als running gag den Hipster, der Dignitäten mit Beliebigkeit zu konterkarieren versucht. ein zur Schau gestelltes Patchwork, in dem verschwimmt, was jemals der Stil einer sozialen Markierung war, verkörpert die extravagante Mode einer mental gebeutelten Mittelschicht. bei der Berliner Modemesse Fashion Week kann man derartiges jährlich als Ersatz für eingesparte Karneval-Umzüge sehen und sogleich erwerben. die sich präsentierende Modeszene will schrill auffallen, das Angebot hat bei jedem Label bizarr zu sein. Trendsetter kombinieren, was zu kombinieren ist, egal ob es tragbar und für die Augen zu ertragen ist, Hauptsache es fällt auf. vagant würde völlig ausreichen, falls das Outfit improvisiert oder vom Flohmarkt daherkommt. für ein unvergleichliches Auftreten wird stets ein Publikum gefunden, auf allen öffentlichen Bühnen live, die es in dieser Stadt reichlicher als Brücken sowie erzählbare Geschichten gibt. man sieht es oder übersieht es, und man will sich gar nicht vorstellen, dass es anders wäre.