petting des ich


(ein investigativer rückblick)

bei den Titel- und Geldanbetern geniesst er keinen Respekt. er kann weder mit dem einen noch dem anderen glänzen. einzig ein gutes Diplom hat man ihm an der Uni ausgehändigt. eine dafür abzuliefernde Text-Arbeit wurde mit Mühe und Frust erarbeitet. jeder massgebliche Gedanke musste mit der vorhandenen Fachliteratur abgeglichen werden und als Zitat erscheinen. das eigenständige Denken kam auf diese Weise kaum zustande. es sollte gezeigt werden, dass man das Handwerk beherrscht und bereit ist, Autoritäten zu respektieren. er hat sich geschworen, nie wieder dergleichen über sich ergehen zu lassen, und eine Anfrage zu einer Promotion abgelehnt.
wer in diesen Zeiten mit seinem Wissen glänzen will, hat es schlagfertig den Erwartungen gemäss zu können. an den hohen Schulen wird rasch selektiert und ein eigensinniger Müssiggang bestraft. erfolgreich sind diejenigen, welche ohne eigene Bedenken in Prüfungen bestehen und früh sich in Rangordnungen eingliedern. wurde ein Posten an der Uni ergattert, ist viel international zu veröffentlichen, um von anderen häufig zitiert zu werden. dafür gibt es die Punkte einer schematischen Bewertung. ein Denker wie Kant käme im gegenwärtigen Wissenschaftsbetrieb kaum zum Zuge. er verkörperte vieles, was dem Eifer der Universitätsreformer inzwischen ein Dorn im Auge ist. ohne internationale Reputation oder sonstige Referenz erhielt er eine Lebensstelle in Königsberg und durfte dort, obzwar er über Jahre hinweg nur kleine Schriften publiziert hatte, sich eigenwillig profilieren. mit dieser akademischen Anbahnung hätte er an unseren Universitäten keine Evaluation überlebt.
manche Bildung beansprucht einen langen Atem und manch andere ist erst ausserhalb von Bildungshochburgen in der Lage, Herausragendes zu denken. wo sich Talente nicht frei entwickeln können, verkümmern sie oder sie werden zu angepassten Verwaltern von Wissen. Kants Zeitgenosse, sein unbekannter Kritiker Karl Christian Friedrich Krause, schaffte es mit seinem unbändigen Eifer nicht, sich an einer Alma Mater zu etablieren. er war ein wandernder Querdenker, der es sich mit fast jedem verdarb. sogar die Freimaurerloge, wo er Mitglied war, hatte ihm den Laufpass gegeben. wäre er in unserer Zeit gross geworden, hätte man ihn im Feuilleton und in Talk-Shows als einen Freak gefeiert. oder durch das Arbeitsamt alimentiert und so lange coachen lassen, bis er in ein gängiges Geschäftsmodell einwilligt. ohne solches lohnt und löhnt die Bildung bei einem überdurchschnittlichen Denkvermögen wenig. fast jeder zehnte akademisch Gebildete kommt hierzulande auf einen Stundenlohn von 9,30 Euro brutto und wenn es kärglicher oder gar nichts ist, landet er in einem unterfordernden Bürojob. man kennt einige Bekannte, die sich damit anfreunden müssen. die aktuellen Schulabgänger schreckt es nicht ab. jeder zweite von ihnen will studieren und einige dürfen es auch ohne Abitur an den technischen Fakultäten. verbeamtete Lehrstuhlinhaber freut dies, so sie für jeden überzähligen Neuzugang zusätzliches Geld bekommen.