petting des ich


(ein investigativer rückblick)

es gibt kaum noch radikale Proteste, nur Beschwerden, Widerreden, Reklamationen und zuhauf digitale Petitionen. gegen letzteres bieten Übereifrige jetzt noch eine Petition auf, um wider das massenhaft inflationäre Petitionieren aufzubegehren. es wird freilich nichts nützen. der erregungswillige Empörungsbürger kann keinesfalls darauf verzichten, seine Stimme egal mit welcher Kompetenz für oder gegen eine Streitbarkeit einzusetzen. er kommt in einer repräsentativen Demokratie bloss alle Jahre dazu. oder er muss auf der Strasse vielleicht bei unseligem Wetter seinen angestauten Ärger bei einer Demo herausschreien. und es ist hier ebenso ungewiss, ob eine Aufregung bei zu vielen Aufmärschen etwas bewirkt.
die Polizei hat sie auf jeden Fall zu eskortieren und bildet Bambusstangen aus, die wie bei Friedrich von Brandenburg einst als lange Kerls den Überblick wahren. es sind, damit die Presse zu schlagkräftigen Bildern kommt, immer merkwürdiger Demonstrationen zu begleiten. sogar Ärzte, Beamte und gut besoldete BAT-Empfänger gehen mit knallharten Forderungen auf die Strasse. sie wollen bessere Einkommens- und sonstige Vergütungen durchsetzen. einst haben das Lobbyisten in den Hinterzimmern der Parlamente für sie erledigt. verschiebt sich in Zeiten der Krisen das Volkswirtschaftliche und verordnet die politische Agenda unentwegt Sparzwänge, gerät selbst der abgesicherte Mittelstand in eine gefühlte Schieflage. als bei gutem Verdienst die Alltagssorgen abstrakter waren, wurden gesellschaftlich relevante Selbstverständlichkeiten auf Weltfriedens- oder Umweltschutz-Kundgebungen eingeklagt.
eine tribiale Gesellschaft trainiert anders als in einer Diktatur mit demonstrierten Missbilligungen ihre Anpassungsfähigkeit und Politiker gesellen sich gern unter Protestierer oder sie sympathisieren in halboffiziellen Statements mit ihnen. dies bringt Stimmen beim Wählervolk und kann Unerledigtes in ihrer Arbeit kompensieren. in der öffentlichen Empörung kommt ein sozialer Zusammenhalt leicht zustande und wird als ein angenehm emotionales Miteinander erfühlt. es gelingt prompt mit einer gemeinschaftsstiftenden Kritik, denn erzürnt über allgemeine Unzulänglichkeiten ist der räsonierende Bürger schnell. wo weltverbesserungsfaul der Gedankenweitwurf ausbleibt, erscheint vieles ungebührlich und provoziert einen Aufschrei. mit gezielt überzogenen Provokationen wird der Unmut in den Medien wahrgenommen und alsbald wieder unterlegenheitshoch bei einer wachsenden Bruttozufriedenheit ignoriert. was für ein Hybriswahn, was für ein Zustand. wenn das in der Hitze zu sagende irgendwann nicht mehr wärmt ja - was dann?