petting des ich


(ein investigativer rückblick)

trotz vorgerücktem Alter bleibt es ihm verwehrt, ein Haupt von Weissheit zu schütteln. die weissen Haare spriessen spärlich und trennen sich zu schnell von ihm. er wird von vielen Leuten auf der Strasse wie ein junger Stutzer geduzt oder überhaupt nicht bemerkt. man sieht ihm nicht an, wer er ist, oder will es nicht wissen. das beruhigt an introvertierten Tagen, da es den Freiraum für ungestörte Selbstgespräche schafft. eine bedeutende Rolle spielt man im Leben für andere erst, wenn das Vortreffliche den Erwartungen entsprechend aufpoliert wird. ihm gelingt es nur, wenn er passabel gekleidet ist, der Blick gestrafft wird und auf dem Jackett kein Fleck das Outfit entwertet. also selten und infolgedessen bleibt die respektvolle Anerkennung ausser Reichweite.
will wer wichtig und begehrt sein, muss er eine gebührliche Rolle spielen. es hat unverbraucht überzeugend zu wirken, dann überzeugt es. ewig jung sein wollende Mütter sehen deshalb nicht aus wie Mütter, sondern genauso aufreizend wie ihre Töchter. jedenfalls von weiten, alldieweil pubertierende Mädchen mit dick aufgetragener Schminke und in Retro-Mode ihre Erzeugerinnen zu imitieren versuchen. die Welt will getäuscht sein und der Mensch ist allenfalls zu einer Wahrhaftigkeit befähigt. letzteres wähnte schon mit einer anderen Schlussfolgerung der Kirchenvater Augustinus. in unserer Zeit reicht es aus, einen feschen Stil mit Kleidung und Haltung zu generieren. wer gut darin ist, darf er gemeinhin glänzen. unter einer individuellen Entfaltung wird heute eine Lebensführung nicht als eine originär zu gestaltende verstanden, eher als angepasste Teilhabe im Kollektiven. der Erfolgreiche darf nicht allzu anders sein als das allgemein Verbindliche, sonst wird er ignoriert oder belächelt.
das Leben ist an manchen Tagen auch so banal, dass man es niemandem, und nicht einmal sich selbst, ungeschminkt zumuten möchte. je authentischer, desto ernüchternder wird es empfunden oder andersherum bzw. überhaupt nicht. man muss als biologisches Mängelwesen, über sich hinausstreben und Defizite kompensieren. dies gelingt in einer Mediengesellschaft mit sympathischen Helden aus Filmen oder Büchern, welche sich für die Identifikation divers anbieten. nur funktioniert es nicht unaufhörlich. je häufiger die Illusion beansprucht wird, desto scheinbarer erscheint das Scheinbare. in seinem Inneren bleibt jeder heillos überdeterminiert, zu einer fortwährenden Sinnsuche verdammt. diese Bodenlosigkeit ist eine inhärente Wahrheit, in die eine Seele immer wieder grande profundum hineinfällt. gäbe es nicht den Glauben, ein anderes Leben führen zu können, wäre das eigene kaum dauerhaft zu ertragen.