petting des ich


(ein investigativer rückblick)

obwohl lange genug abgehört, sind wieder keine Stimmen aus der Steckdose zu vernehmen. das Wunderliche wird unwahrscheinlicher je mehr es als Mirakel erwartet wird. es gelingt in dekadenten Zeiten seltener, Verrücktheiten auszuleben. sind zu viele überdreht, mutiert der verschrobene Freak zu einer statistischen Durchschnittlichkeit. lange Zeit waren eigenwillig nonkonforme Ansprüche mit einem enthemmten Opponieren gegen beengende Zwänge verbunden. der talentierte Individualist strebte als Aussteiger nach einer ungebundenen Autarkie, die als brotloser Künstler leicht zu behaupten war. für das Insistieren auf unergiebige Mühen wurde er vorbehaltlos für ausgetickt gehalten und, so die Fronten klar waren, als verschrobener Mensch diskreditiert.
inzwischen hat sich ein entblösster Individualismus durchgesetzt und subkulturelle Verrücktheiten usurpiert. der Drang zur extravaganten Subjektivität ist ein Lifestyle-Phänomen für Menschen geworden, die nicht rebellieren, sondern sich im Gegebenen exklusiv austoben. wer etwas Besonderes sein will, ist es nicht ausserhalb der Menge, sondern in ihr. er muss mit viel Lärm sowie origineller Eindringlichkeit seine Ausgefallenheit herausstellen. das ist irrsinnig, führt aber nicht zu massenhaftem Wahnsinn. ganz im Gegenteil: selbst die wirklich Irren werden langweiliger. sie befinden sich in kassenärztlichen Therapien und haben einen Sozialbetreuer. die heroischen Zeiten, als kauzige Typen Schocks auslösten, sind legendär. man kann noch so sehr seine Zeitgenossen verwirren, sobald man es kann, wird es nicht mehr als irritierend empfunden.
wer ungesellig und ohne zu kooperieren sein leben frönt, gilt heute als asozial. hat man zudem viel Geld und hinterzieht es auf einem Schweizer Konto, wird man hochtönend A-sozial (gemäss die A-Klasse bei Mercedes) genannt. reich und prominent darf es erduldet werden. wer naiv ist und von einem schlechten Anwalt beraten wird, muss wie der FC Bayern-Chef Uli Hoeneß in ein Gefängnis. Schwarzfahrer, die es aus Niessbrauch tuen, kommen zur Abschreckung oder wegen einem übertriebenen Gerechtigkeitssinn ebenfalls hinter Gitter. die Spaltung der Gesellschaft in arme Unterschicht und vermögenden Adel ist unaufhaltsam. neu ist pikanterweise, dass sie manchmal zusammen in einer JVA Fussball gucken.
vor dem Gesetz sind alle gleich. oder sollten es sein. er ist zum Beispiel nicht vorsteuerabzugsberechtigt, wobei er es wegen seiner Ausgaben de facto sein müsste. sein zuständiges Finanzamt billigt nicht, dass er als geführter Selbständiger zu wenige Einnahmen hat, und verlangt unverdrossen eine jährliche Abrechnung. bleibt sie aus, weil nichts zu erklären ist, wird mit einer Zwangsabgabe gedroht. für jene Behörde ist sein Arbeiten ein Hobby, das nicht das Bruttosozialprodukt steigert.