petting des ich


(ein investigativer rückblick)

als ein Unzeitgemässer trägt er keine Uhr mit sich herum und wird somit von keiner Stunde getaktet. es ist wie mit der jährlichen Schutzimpfung gegen Grippeviren. hat sie jeder, benötigt man sie selbst nicht. für den aktuellen Tageslauf reicht es, sich am Ticken anderer Menschen oder an der Sonne zu orientieren. auf öffentliche Uhren ist selten verlass, seitdem sie bei Warteämtern und auf Bahnhöfen eingespart werden. wenn ihn drängende Termine sollizitieren, wird die Zeitangabe am Handy inspiziert. da er freilich kein gefragter Mensch bin, muss er seins nur gelegentlich konsultieren,.
in einer Zivilisation, in der Beschleunigung alles und Stillstand wenig ist, scheint es ein zu beneidender Luxus zu sein, in den Tag hineinzuleben. aber weit gefehlt. man hat ohne Termindruck weniger Ausreden parat. wer zahlreiche Verpflichtungen disponieren muss, kann sich bei unangenehmen damit herausreden, dass er ausgebucht sei. bleiben obligatorische Aufgaben unerledigt, wird die Überbeschäftigung ohne Bedenken als Rechtfertigung akzeptiert. weil es vielen so geht, garantieren Zeitprobleme ein promptes Mitgefühl. es lohnt sich, den eigenen Kalender von Montag bis ins Wochenende hinein vollzuschreiben. ist keine Lücke frei, kann man Unliebsames ohne Schuldgefühle ablehnen und bleibt ein eifriger Mensch. letztendlich will auch niemand, falls er Single ist, die Zeit mit sich allein verbringen, und der gebundene Rest nicht immerzu eine Familie aushalten. deshalb wird sogar der Feierabend ausgeplant. denn entweder besteht die Gefahr der Einsamkeit oder eine der allzu vertrauten Gleichförmigkeit. dagegen hilft meist überreichlich Geschäftiges bis in die letzte Freizeit hinein.
wegen der allgemeinen Betriebsamkeit gehen der Gesellschaft bestimmt wichtige Erleuchtungen verloren. haben potentielle Erfinder keine Zeit für neue Ideen, dann haben sie keine. sie füllen effektiv ihren Tag aus und dürfen sich selten Mussestunden leisten. jedes Problem hat sein vorgegebenes Zeitlimit. ist es überschritten und keine Lösung in Sicht, wird die vorliegende Aufgabe von pfiffigen Handwerkern einfach als invariabel verworfen und eine andere gewählt. der bestellte Installateur wechselt dann nicht wie gestern in seinem Bad eine defekte Dichtung aus, sondern das Thermostat komplett. er muss in einer Stunde den nächsten Kunden erreichen, um Geld mit vielen Aufträgen zu verdienen. Tüfteleien kann er sich während der Ausbildung oder nach Feierabend für Privates leisten. die Zeit ist gegen ausgefallene Ambitionen und man hat keine Chance sie zu verlangsamen. sie beschleunigt sich, wenn sie mit Termin-Routine gefüllt wird und neue Erfahrungen ausbleiben. Kindern und Künstler-Seelen erscheint der Tag länger. ihr Bewusstsein ist mit dem Verarbeiten von Erlebnissen ausgelastet. es füllt sich mit unerwarteten Entdeckungen und aufregenden Einschnitten, so dass die Stunden dauerhaft verlebt werden.