ich mit biographie
seinen Kindern hat er lieber Geschichten erfunden als vorgelesen. dazu war er nach einem anstrengenden Familienalltag in der müden Abendzeit noch in der Lage. es sollte aber etwas richtig Gedrucktes sein und so hat er manche Story mit einem Buch vor der Nase frei ersonnen, das Lesen einfach vorgetäuscht. das Erfinden fiel ihm nie schwer, nur wiederholen konnte er es nicht. war eine seiner Geschichten besonders gelungen, wurde sie zu seinem Leidwesen in den nächsten Tagen nochmal begehrt und musste dann improvisierend rekonstruiert werden. ähnlich ergeht es ihm mit manchem Aufgeschriebenen, das zwar irgendwo abgespeichert vorliegt, indes nicht auffindbar ist. es muss erneut mit Mühe ersonnen werden. vielleicht wird es dadurch besser.
wer viel Phantasie hat, kann sich sein Leben so schillernd und vielversprechend ausdenken, wie er es will. leben muss er trotzdem ein anderes, was weniger mit Er- als mit Einfindungsgabe zu meistern ist. es wird das angepasste Verhalten belohnt, selten die abweichende Verrücktheit. für eine Karriere oder ein halbwegs abgesichertes Dasein ist ein Überschwang an Phantasie hinderlich und tunlichst zu unterdrücken. als Ausgleich für daraus entstehende Defizite liegen in den Videotheken und Fernseh-Kanälen Fantasiefilme mit farbenprächtigen Kostümen sowie schrillen Computer-Animationen vor. sogar traditionelle Kinderfilme wie die Biene Maja oder Wickies Abenteuer werden mit einer erbarmungslosen Steigerungslogik als ein sensorisches Sperrfeuer quietschbunt neu produziert. bei diesen Angeboten kommt keiner in die Verlegenheit, etwas für sich imaginieren zu müssen. der Zuschauer wird in einen schillernden Kosmos gesogen und so intensiv beansprucht, bis die Iris vibriert.
für Platon waren die sinnliche Wahrnehmung und Imagination miteinander verbunden, weil dem rein Realen ohne die Phantasie die ideale Schönheit nicht zukomme. die moderne Medientechnik bringt jenes Verhältnis in eine Schieflage, wo Effekte Kurzweiliges aufpeppen, um zu beeindrucken. die Eltern haben sich daran gewöhnt und wundern sich kaum noch, dass ihre Kinder unter Aufmerksamkeitsdefiziten leiden. nähren sie sich dauernd durch eine von Aussen kommende Fiktionen, geht die Konzentration auf eigene Intentionen verloren. irgendwann sind sie nicht mehr in sich verankert und leben wirklichkeitsfremd. auf Erwachsende trifft es ebenso zu, nur bei manchem nicht wegen zu viel Medium- und Meinungskonsum, sondern wie bei ihm wegen zu wenig Ablenkung. da er kaum fernsieht, Programmkinos und angesagte Schauspiele meidet, entfesslt sich in ihm ein zu intensives Feuerwerk von schrillen Einfällen. er kann sich Szenarien ausdenken, die er niemandem zumuten will, und Bilder phantasieren, die er sich nicht einmal selber ansehen würde. klammgeil und klammheimlich muss er sich zuweilen ein Korsett anlegen, das die Kräfte auf ein Minimum bündelt.