petting des ich


(ein investigativer rückblick)

seinen ersten eigenen Wohnsitz bezog er mit neunzehn in Cottbus, gleich nach dem Abitur. es war am Stadtrand eine Neubauwohnung im 10. Stock. seine Mutter hatte nach ihrer zweiten Scheidung einen Mann mit Haus auf eigenem Grundstück kennengelernt und das alte Zuhause gegen ein Einraum-Anwesen für ihn eingetauscht. das war bei der damaligen Wohnungsknappheit ein Glücksfall mit einem Wermutstropfen. er konnte nach der Schule endlich seine Selbständigkeit geniessen, hauste aber isoliert in einem Ghetto weit entfernt von seinem Arbeitsort Theater. wenn die letzte Strassenbahn verpasst war, musste er in der Nacht entweder zufuss nach Hause pilgern oder in der Fremde improvisiert auf einem Sofa übernachten. meistens entschied er sich für letzteres, das bisweilen ein warmes Bett mit Umarmungen war. an freien Tagen hatte er in seiner Klause seine Ruhe und im Winter eine Zentralheizung.
die nächste eigene Residenz war ein innerstädtischer Altbau mit Ofen, den er mit der ersten Familie bezog. hier residierte es sich sozialer und urbaner, also nicht ganz ungestört. für einen Einzelgänger wie ihn wurde dies zu einem Problem. Konflikte sowie innere Rückzüge waren langfristig die Folge. er schaffte es, teilnahmslos zu sein, während unaufhörlich kommuniziert wurde. nach seiner Scheidung liierte er sich mit einer Architekturstudentin, die in einer Haus-WG mit gemeinsamer Küche und anliegendem Garten lebte. nun konnte er zwischen zwei Lebensorten switchen, zwischen einem chaotischen WG-Geselligsein und einer einsamen Versenkung in der ihm verbliebenen Mietwohnung. es war die perfekte Kombination und so hat er es gleichfalls nach seinem Umzug in Berlin bei einer neuen Familie gehalten. entweder wird in völliger Abgeschiedenheit sinniert oder umgänglich gelebt. für das wichtige Lesen und Schreiben beansprucht er darüber hinaus öffentliche Bibliotheken, von denen in seiner Umgebung zahlreiche mit den unterschiedlichsten Anerbieten bereitstehen.
sein Leben ist seit vielen Jahren ein Pendeln zwischen diversen Orten. es benötigt idealerweise einen Platz zum Philosophieren, einen Platz für das Kunstwerkeln, einen für das Dichten, einen für die Prosa, das Zweifeln, das Koitieren, das Nichtstun und wichtige Garnichtstun... er lebt in einem Hyperwürfel, der aus mehreren Räumen besteht, wobei der letzte alle anderen enthält. auf diese Weise bleibt bei steigenden Mieten der Lebenskomfort gesichert. das Dasein hat sich in dieser Zeit zu optimieren und auf kleiner werdenden Flächen zu perfektionieren. der flexible Yuppie benötigt dazu nur den nötigen Prozessor und einen Anschluss an das globale Kommunikationsnetz, das weitere Minimalisierungen ermöglicht. was sich in einem Leben an Besitztümern anhäuft, wird peu à peu digitalisiert und mit High Density-Technologien in globalen Cloud-Speichern verdichtet. von überall kann darauf zugegriffen werden und spart die Kosten für eine Lagerhaltung. in naher Zukunft wird, wenn es so weitergeht, auch die eigene Leiblichkeit völlig virtualisiert, auf dass auch das Mieten eines Schlafraumes entfällt. irgendwann einmal wird es sicherlich für uns Lebenskünstler so sein.