petting des ich


(ein investigativer rückblick)

auf vielen Fotos sieht er immer noch so aus, als könnte er es nie zu etwas bringen. seine Mutter hofft seit Jahrzehnten vergeblich, er würde einmal einen gut bezahlten Brotberuf finden, und sein Vater hat ihm nie verziehen, dass er nicht ihm gemäss ein geschäftstüchtiger Elektriker geworden ist. seine Eltern sind in den bescheidenen Verhältnissen der Nachkriegszeit aufgewachsen und mussten sich einen kleinen Wohlstand beschwerlich erarbeiten. sie meisterten das Leben in der progressiven Banalität, in der es sich ihnen im zu ertragenden Sozialismus stellte. das Erreichte war ihr Erfolg und ihr gutes Gewissen. sie haben nicht viel riskiert und selten das Gegebene infrage gestellt, was zählte war der sichere Verdienst und das, was sie sich damit leisten konnten.
solche Ansprüche darf man nicht, sondern muss man ablehnen, wenn man einer unzufriedenen Generation angehört, die nach Grösserem strebt. sein Elternhaus hat das nie verstanden und auch nicht respektiert. nach vielen Flegeljahren wurde er relativ spät erwachsen. er musste lange warten, bis sich die ihm folgenden Jahrgänge mit wiederum neuen Ansichten etablierten und ihn mit meiner rebellischen Haltung in den Stand eines Unzeitgemässen versetzten. auf diesem Posten wird er endlich ernst genommen und verkörpere nunmehr den autorisierten Verwahrer von überholten Werten. was ihnen nicht entspricht, wird nun von ihm vehement abgelehnt. vor allem Bestseller-Bücher sowie Blockbuster-Filme müssen dran glauben, da er sie sich schon wegen ihrer Titel nicht antun möchte und anderen natürlich ebenso wenig gönnt. mit seinen Verweigerungen, dem bleibenden Drang zur Weltverbesserung gilt er als uncool und ist trotz einer stoischen Gelassenheit jungen Menschen nicht abgeklärt genug.
dabei mäandert er wie sie durch eine Welt relativer Möglichkeiten und kann nichts grundlegend wichtig nehmen. obgleich wenig Bedrohliches im eigenen Umfeld passiert, wird nach einer unbeschwerten Geborgenheit gesucht. wer dabei unbefriedigt bleibt, kompensiert Defizite mit einem guten Einkommen, also dem berufliche Fortkommen. man braucht nicht wählerisch zu sein. was lange der Inbegriff von purer Biederkeit war, gilt wieder als erstrebenswert. die Jugend von heute hat die heimelige Karriere mit Einfamilienhaus, kleiner Yacht und passender Krawatte als Lebenssinn reanimiert. gut ausgebildet und mit nonkonformen Prämissen von emanzipatorisch eingestellten Eltern gecoacht, verhält sie sich bei ihrem Streben indifferent opportunistisch. hiermit will niemand provozieren, nur selbstbewusst in einer deflationär multiplen Gegenwart bestehen. es wird nicht gegen die Älteren und gegen bestehende Verhältnisse rebelliert, sondern vor der eigenen Zukunft resigniert, dem ausgangslos Offenen. er könnte eine derartige Haltung geringschätzend ignorieren und kann es nicht, weil er sie beim eigenen Nachwuchs noch mit Empathie verstehen will.