petting des ich


(ein investigativer rückblick)

was bleibt, was wird in der Flut von kurzweiligen Informationen und animierten Bildern überdauern? seit seiner Kindheit sind es die Melodien von Pop-Stars, die Jahrzehnte markieren und für den ambitiösen Geschmack die Ur-Gesteine des Jazz. der passende Sound transportiert das Lebensgefühl einer ihm adäquaten Generation und wird im Radioprogramm für das ältere Zielpublikum beständig abgespielt. bei solchen Rückgriffen sollen sich pläsierliche Erinnerungen an die Jugend einstellen, obwohl man weiss, wie trügerisch Andenken sind und wie erbärmlich es zuweilen wirklich war. gut Erinnertes ist das ständig Halluzinierte, das jeder abrufbereit als Geisterbild oder Wurmloch mit sich herumträgt. tatsächlich sind es destilliert lückenhafte Fragmente, die wieder und wieder ins Bewusstsein gerufen und stets anders interpretiert, sich zu schönen Geschichten fabulieren.
im Laufe des Lebens geht zwar manches im Kopf Gespeicherte verloren, taucht jedoch wie die Revivals in den Medien abrupt als verschollene Sequenz wieder auf. es war lange Zeit blockiert und wie das mühselig Erlernte, was sich von Anfang an gegen ein Repetieren gesperrt hat, nicht disponibel. Schacheröffnungen müssen unablässig repetiert werden, und ebenso die Konjugationsregeln der unregelmässigen Verben in fremden Sprachen, damit sie ad hoc vorliegen. Goethe war dereinst von einem Tagelöhner fasziniert, der kurz vor seinem Tod in der Sprache der antiken Philosophen redete. es wurde festgestellt, dass er sich in jungen Jahren als Bediensteter in der Nähe des Grafensohns aufhielt, als jener Latein und griechische Vokabeln lernte. die Mechanik des Erinnerns ist derart komplex, dass darin alles Menschliche involviert und verbändelt scheint. Erinnerung ist nicht einfach gleichzusetzen mit Gedächtnis, sie ist ein andauerndes Erfinden, ansonsten zerfiele jede Vita in unzählig beziehungslose Geschichten.
wer etwas genau wissen will, muss ausdauernd im Archivierten wühlen und bei verifizierten Dokumenten fündig werden. oder er verlässt sich auf Suchmaschinen, die mit statistischen Indizierungen Quellen heraussuchen. da elektronische Informationen und ihre Verweise permanent neu erstellt werden, gibt es hier allerdings keinen verlässlichen Bestand. im analogen Archiv verkörperte, was ad acta gelegt war, eine aufgehobene und abgesicherte Zeit. das digitale Speichern kommt ohne zeitlichen Aufschub aus. unentwegt werden Texte aktualisiert und die Klassiker mit neuen Rechtschreib-Reformierungen umgeschrieben. im kollektiven Gedächtnis verschwinden Menschen heute genauso schnell wie soziale Visionen, sie werden einfach nicht mehr erwähnt. recherchierbar bleibt das, was viele für wichtig halten und als Schwarm für ihre alltägliche Kommunikation abrufen. der Common Sense wird mit dynamischen Daten unkoordiniert immerfort verschoben. ein sich darauf berufendes Denken ist unter diesen Bedingungen etwas Verstimmtes.