petting des ich


(ein investigativer rückblick)

mancher Anfang fällt ungemein bescheiden aus. des Lebens Lauf beginnt dann separiert an einem kleinen Grenzfluss, wo zwischen Plattenbauten, Fabrikruinen und einer Kirche ohne Turmspitze selten Menschen anzutreffen sind. eingerahmt von weitsäumigen Kiefernwäldern und Auen kann so ein Ort bloss ein Hort der Langeweile sein. und da sein Name despektierliche Assoziationen auslöst, muss in amtlichen Formularen beim Geburtsort stets die Region mit angeben und ein Forst (Lausitz) geschrieben werden.
zwei Generationen zuvor war man als Forster noch ziemlich bekannt, man lebte im deutschen Manchester. 290 Textilfabriken produzierten gemusterte Stoffe für den Bürger als auch das Militär, wochentäglich verkehrte eine Werkstrassenbahn und es wurde viel Modernes im Stil der neuen Sachlichkeit gebaut. nach dem zweiten Weltkrieg blieb davon wenig übrig. das Wirtschaftswunder Forst war zu 90 Prozent zerstört und lag plötzlich geteilt an der polnischen Grenze ohne einen passierbaren Übergang. gleichwohl hat diese Kleinstadt, in der er prägende Jahre meiner Kindheit verbrachte, seinem Leben einen besonderen Flow verliehen. in unbeschwerter Einsamkeit konnten sich hier Träume entfalten, die zu Sehnsüchten heranwuchsen. fünf Kinos, die mit einem internationalen Programm die grosse Welt auf Leinwänden zeigten, kompensierten dies kaum. die weite Ferne war in jener Abgeschiedenheit verinnerlicht nah, während das tatsächlich Naheliegende nicht störend ablenkte. er malte sich unabhängig von den Ansprüchen der Zeit eine Zukunft aus, wie sie ihm gefiel. vieles schien möglich und aussichtsvoll, wie später nie wieder beim Tagträumen.
wer es geschafft hat, seine heimelige Geburtsstadt rechtzeitig zu verlassen, der hat es zu etwas geschafft, weil er sich in Ruhe vorbereiten konnte und hoch motiviert war. er ist im Laufe der Jahre einigen ehemaligen Forstern begegnet, denen nach ihrem Weggang eine Karriere glückte, ob als Politiker, Radsportler, Geschäftsmann oder schriftstellernder Psychotherapeut. sie konnten in ihrer Kindheit fleissig ihre Traumrunden drehen, ohne das Gefühl zu haben, viel zu verpassen. jene Unbeschwertheit durfte nur nicht zu einem Dauerzustand gerinnen. wer nicht rechtzeitig den Absprung schaffte, wurde mit hoher Wahrscheinlichkeit ein phlegmatischer Routinier oder irgendwann frühreifer Rentner, von denen es in Forst immer schon zu viele gab. seit der Wiedervereinigung führt das geruhsame Dasein zu noch mehr Einförmigkeit, so sich der Trend des Niedergangs schleichend verstärkt. Investoren meiden die Region und die Jugend zieht weg, um irgendwo anders ein neues Leben anzufangen. weil auch weniger Kinder geboren werden, obwohl man ausreichend Zeit für sie hätte, werden bereits erste Mietshäuser am Marktplatz abgerissen.