petting des ich


(ein investigativer rückblick)

die brandaktuellen Stars der digitalen Massenmedien sind entweder Amokläufer, Dopingsportler oder prominente Steuerhinterzieher. selbst wenn sie kaum etwas zu sagen haben, ist ihnen die höchste Aufmerksamkeit garantiert. nicht in der Kunst, Literatur oder etwa Philosophie, sondern in den Nachrichten sind heute Genies präsent. es handelt sich um verwegene Menschen, die wegen krimineller oder sportlicher Rekorde zu Wort kommen. Musil hat bereits in seinem Magnum Opus "Der Mann ohne Eigenschaften" vor jener Verschiebung gewarnt. nun haben wir sie und müssen akzeptieren, dass eine messbare Leistung signifikanter als ein grosser Geist erkennbar ist. wo das Beste sich nur mit Schlagzeilen konkret erfassen lässt, wird nur konkret Feststellbares profan erfasst. häufig sind es Fussballtore, die bei wöchentlichen Meisterschaften viel Beifall finden und von Experten ausführlicher als Wahlergebnisse kommentiert werden.
das Versprechen der genialen Leistung ist ein widersprüchliches Kulturgut und hat eine lange Tradition. man erinnere sich, bei den alten Griechen wurden Künstler als den Göttern nahegestellte idealisiert und entgegen Platons Intervention hoch geschätzt. lange Zeit danach blieb das Kunstschaffen auf die Mimesis einer von Gott kreierten Welt reduziert und tradierten Regeln verpflichtet. erst mit der Romantik konnte sich der Gemeinplatz vom genialen Ich durchsetzen. jenes Ich wurde zum idealen Ersatz für verlorene Religionspraktiken. es durfte wieder, indem es sich als emanzipiert begreift, allein aus sich heraus mit Meisterwerken glänzen. das individuell Kreative war eine wirkungsmächtige Erfindung und wurde allmählich zum allgemeinen Vorbild für jeden Bürger. die Vorstellung von einer flexibleren Eigeninitiative hat sich durchgesetzt, um zum Kriterium für eine berufliche Effizienz zu mutieren. besonders im Bereich der Dienstleister nähern sich die Arbeits-Bedingungen dem an, was der kreative Künstler vorlebt: den maledeiten Anspruch von einer radikalen Selbstverwirklichung als effiziente Selbstausbeutung.
das Wirtschaftswachstum und die Bessergestellten profitieren davon ungemein. aber vorwiegend sie, während selbstständig Geleistetes nur partiell honoriert wird und ordentlich für ganz wenige. im fernsehgenen Fussball bei Megavereinen ziemlich grosszügig, wo man für den Transfer von prominenten Spielern nunmehr bis zu 100 Millionen Euro zahlt. so ein Deal überzeugt und sorgt für eine anhaltende Ehrfurcht in den Stadien. manche taktische Raffinesse wird hier überdies als eine Kunst oder schlaue Trainer-Philosophie apostrophiert. im Kulturvereinen und an den Universitäten arbeiten nicht wenige unterbezahlt oder gar umsonst. man nennt sie ein Prekariat, und um irgendwann eine Geltung zu erlangen, finden sie sich damit ab. das Ausbleiben der lebensnotwendigen Honorierungen führt zu sozialen Verwerfungen und bedroht langfristig gesehen die allgemeine Bildungs- und Kulturlage. vielleicht gibt es einmal eine Gesellschaft, in der keine telegenen Stars mehr als Projektionsfläche gebraucht werden.