petting des ich


(ein investigativer rückblick)

ein gläubiger Mensch ist er nicht. ihm fällt es schwer zu glauben, dass er glaubt. im Grunde möchte er es, aber sein skeptisches Überich nicht. der Zweifel ist sein Credo. in den preussischen Sand gesetzt, hat er anstatt einer, viele Religionen und die nötige Toleranz dazu. das war freilich nicht immer so. als pubertierender Abiturient las er bildungshungrig die beiden Testamente der Bibel, probierte bei Gottesdiensten das Vaterunser aus und liess sich beinahe von einem sympathischen Pfarrer im Schweriner See taufen. die evangelische Kirche war damals ein Ort für enthusiastische Freaks und unbelehrbare Weltverbesserer wie ihn. unter ihren Dächern versammelten sich Querdenker, die voluntaristisch nach einer auszulebenden Veränderung strebten. man konnte bei Blues-Konzerten mit der Zigarette vor dem Altar diskutieren und an Wochenenden symbolisch Bäume für eine bessere Zukunft pflanzen. letzteres unternahm er mehrfach und einmal in Rostock mit dem Jugendpfarrer Joachim Gauck, dem späteren Bundespräsidenten.
nach der Wiedervereinigung verliessen die nach Alternativen Suchenden die Gotteshäuser und politisch denkende Pfarrer gründeten eine eigene Partei oder wurden erfolgreiches Mitglied einer bestehenden. viele Getauften traten wie seine Mutter aus ihrer Religion aus, als sie plötzlich eine Steuer dafür zu zahlen hatten. dafür kamen andere hinzu, die ein segensreiches Glaubensgefühl und die feierliche Taufe für ihre Kinder kaprizierten. bei den neuen Gemeindemitgliedern handelte es sich um konservative Mittelschichtler, welche es als Privilegierte aus den alten in die neuen Bundesländer verschlug. allzu politisch oder existentialistisch durften die sonntäglichen Gottesdienste für sie nicht sein. er hat sich in jener Zeit an die Philosophie sowie Kunst gehalten und den christlichen Glauben aus den Augen verloren.
erst in seinem vorletzten Studienjahr ist er der Kirche wieder begegnet, nachdem er aus einem Seminar über Printmedien flüchtete, in dem stapelweise Ausgaben der St.Pauli-Nachrichten mit nackten Brüsten methodisch analysiert wurden. als Ersatz wählte er das Fach christliche Publizistik, wo es ruhiger zuging und unkomplizierter schien, einen Abschluss zu erreichen. das hier zu Begutachtende war seriös und eindeutig erfassbar. man kann auch sagen, ziemlich redundant, weil die Argumente, die auf sakralen Medenplätzen verhandelt werden, leicht zu durchschauen sind. die Welt wird urbi et orbi mit erbaulich berückenden Geschichten auf ein für viele akzeptables Gut kleingerechnet. es muss vermeintlich so sein und pausenlos zuversichtlich wirken, damit es niemanden verstört. dennoch gab es bei der studentischen Recherche für ihn eine bemerkenswerte Überraschung. er erfuhr zu seiner Verblüffung, dass jenes im öffentlich-rechtlichen Fernsehprogramm seit Jahrzehnten ausgestrahlte "Wort zum Sonntag" keine Satire-Sendung ist. er vermutet indes bis heute, dass es eine sein muss. zumindest eine jede Woche ungewollte.