petting des ich


(ein investigativer rückblick)

gewählt hat er seit seiner Mündigkeit strategisch, und in der DDR war seine Stimme daher ungültig. wo keine Auswahl zu haben ist, kann nichts optiert oder abgelehnt werden. ein Nein musste alle Kandidaten der Nationalen Front (so wurden die Abgeordneten als Block genannt) ordentlich vom ersten bis zum letzten Buchstaben durchstreichen. das war ziemlich aufwendig und kaum korrekt zu bewältigen. ergo wurde auf dem Stimmzettel einfach das Wort ungültig geschrieben und dies nicht mit den ausliegenden Bleistiften, sondern durch einen mitgebrachten Kugelschreiber, damit es niemand nachträglich ausradierte. genutzt hat es wenig, da die eigene Stimme im Promille-Bereich lag und die Volksmeinung nach Abzug der Wahlfälschung zu 90 Prozent die Kandidaten einfach abnickte. erst als es zu unerträglich wurde mit der staatlichen Bevormundung, begehrte das ostdeutsche Wahlvolk auf. es forderte richtige Wahlen, um eine Reise- sowie Konsumfreiheit zu erheischen. einzig die Nostalgiker träumten noch eine Weile von einem anderen Sozialismus in einem anderen Land, wurden aber von den politischen Ereignissen schnell überrollt.
der nüchterne Verstand weiss, dass es die Freiheit der Wahl gar nicht gibt und in einem Staatengebilde höchstens die repräsentative Demokratie als Trostpflaster. bereits in einer mittelgrossen Wohngemeinschaft funktioniert echte Demokratie nie und noch weniger in einem Kunstverein, wo jeder jeden nur so lange gleichberechtigt respektiert, bis er seine Projekte durchgesetzt hat oder einsehen muss, dass es nicht möglich ist. wird bei Volks- oder Bürgerentscheiden direkt gewählt, dann geht es wie in der Schweiz momentan arg fremdenfeindlich in die Hose. darum bescheide man sich lieber und wähle die ungefährlichen Politiker, welche zu einer redlichen Opposition verdammt sind. nach der Wiedervereinigung erkor er sich immer eine Partei, welche den etablierten Paroli bot und damit links lag. oder es wurde ein potentieller Koalitionspartner unterstützt, der das politische Gelage ein wenig aufzurütteln versprach. da solches Kalkül freilich selten aufgeht, nicht einmal bei der destruktiven Piraten-Partei etwas bewirkte, kann lediglich das Schlimmste indirekt abgewählt werden, wie unlängst die unverschämt für ihr Klientel raffende FDP.
viele halten es andersrum und wählen bewusst das zu Kritisierende. ein politisch müdes Stimmvolk befördert lieber die Partei mit dem schlechteren Personal, damit Schlimmes hämisch zu monieren bleibt. in Österreich durfte somit ein Politiker wie Haider mit tumben antisemitischen Parolen Karriere machen. als er in Amt und Würden kam, konnte sich der Unmut über ihn in zahlreichen Demos recht kreativ austoben. wer sich bewusst für den Mangel, für einen langweiligen Job oder das profanere Buch entscheidet, wählt es meist nicht, weil er zu früh resigniert, sondern um erst recht einen Grund zum Jammern zu haben. er bleibt wie in einem Schaukelstuhl am selben Fleck und kann gut austariert als Moralapostel seine berechtigte Unzufriedenheit loswerden.