petting des ich


(ein investigativer rückblick)

keine Macht den Doofen, verkündete ihm einst eine Plastiktüte, die ihm ein Westberliner Apotheker in die Hand drückte. tatsächlich war da aber: Keine Macht den Drogen draufgedruckt. der Slogan richtete sich gegen den Heroin-Ersatzstoff Methadon, den Süchtige auf Rezept bezogen. für Apotheker, die Junkies als Kundschaft nicht sympathisch fanden, war das ein Affront. die Fixer sollten ihren Stoff lieber von allseits omnipräsenten Dealern beziehen. sie versorgen in Berlin ihre Kundschaft rund um die Uhr und die Wochenendsüchtigen bekommen ihre bunten Designer-Pillen ungefragt in nächtlichen Bars oder Klubs. wer justament bei späten Geselligkeiten gut drauf sein will, braucht hier aufputschende Hilfsmitteln. sie verschaffen ein enthemmendes Gemeinschaftsgefühl.
für jenen Zustand bevorzugte sein sozialer Hintergrund ausnahmslos den Alkohol. er wurde je nach Anlass ausreichend konsumiert. zu jeder Gelegenheit gab es ein Gläschen: im Betrieb, in der Familie und bei Feten. es wurde in der Pause, zur Feier des Urlaubs, nach Prämien oder, um sich in den Feierabend einzustimmen, ständig etwas getrunken. ein Grund fand sich immer. Hochprozentiges war überall erhältlich und in Kneipen billig. als unterfinanzierter Lehrling konnte er sich jeden zweiten Abend zum Diskutieren oder Schachspielen bis zu drei Bier leisten und zwischendurch den obligatorischen Klaren. man hob die Gläser gemeinsam, denn es wurden Saalrunden spendiert, und mancher soff mehr, als sein Magen vertrug. es änderte sich erst, als mit der Umstellung auf den Euro das Bier abrupt teurer wurde und als gastronomisch Gezapftes kaum noch schmeckte, lediglich in homöopathischen Zügen oder im gewohnten Mass daheim aus der Flasche. ihn hat es kaum gestört, da seine bevorzugten Drogen zeitlebens Bücher waren. mit ihnen hat er sich intensiv berauscht und selbst bei unverträglichen Placebos selten eine Ernüchterung erlitten. wie der Opiumraucher entflieht er als Vielleser seiner Umgebung und tauche in eine andere, eine intensivere Welt ein.
in der DDR war es aufwendig, sich den nötigen Stoff zu beschaffen. regelmässig mussten Buchläden frequentiert werden, da es bei Lizenzausgaben höchstens ein Exemplar in die Verkaufsregale schaffte. die Ästhetik des Widerstands von Peter Weiss und eine dreibändige Bachmann-Ausgabe hat er sich mit dieser Ausdauer erhamstern können und zufällig während einer Ferienreise Nietzsches Zarathustra in einem Antiquariat. erst nach der Wiedervereinigung wurde es einfacher, an die gewünschte Lektüre heranzukommen. Händler verkauften sie spottbillig als Remittenden oder zu Dumpingpreisen auf Trödelmärkten. die tägliche Dosis Literatur erhöhte sich bei ihm gravierend, es galt schliesslich einiges aufzuholen. die Folgen sind mittlerweile Nackenverspannungen, Rückenschmerzen und zuweilen ein Augenjucken. das andauernde Lesen gefährdet die Gesundheit und beeinträchtigt das soziale Verhalten. vor allem, wenn im Bekanntenkreis sich zu wenige für literarische Entdeckungen erwärmen. Bücher werden dann die wahren und einzig verbleibenden Freunde.