petting des ich


(ein investigativer rückblick)

Kalender, Poster und Spielwaren werden präsenter in Buchläden und experimentelle Prosa, Lyrik und Philosophie, falls sie noch zum Sortiment gehören, in hintere Winkel verbannt. vorbei sind die Zeiten, als er zwischen hohen, vollgestopften Regalen auf wackligen Leitern in einem breiten Sortiment herumstöberte. wurde Bestimmtes gesucht, dann recht lang. er stiess auf faszinierende Entdeckungen, also auf Bücher, die er noch nicht kannte oder von denen er Vielversprechendes gehört hatte. seine Erkundungen waren auf wackligen Leitern spannende Reisen in einem literarisches Eldorado.
seitdem die Zahl der Arbeitslosen sinkt, wird weniger niveauvoll gelesen. nach einem anstrengenden Tag verspüren müde Menschen keine Neugierde mehr auf ehrgeizig geschriebene Bücher. und wenn doch, dann haben sie keine Ausdauer, um sie wirklich zu geniessen. die Suche nach der verlorenen Zeit liest man entweder in jungen Jahren oder gar nicht. ein gekauftes Buch soll unterhalten und ist gemeinhin eine Fantasy-Welt oder ein Thriller mit Titeln wie "Inferno" oder "Trilogie des Tötens". selbst Studenten gleichen die ausbleibende Lektürelust nicht aus, obgleich sie über höhere Taschengelder als früher verfügen. sie müssen jeden Monat mit Belegarbeiten Punkte sammeln oder in zu vielen Prüfungen bestehen. seit der Optimierung des Studiums ist der Druck arg geworden und das Lernen einzig effizient zu bewältigen. künftige Geisteswissenschaftler werden durch ein Studium gepeitscht und lernen bestenfalls die ökonomische Bedeutung von kulturellen Standards zu diskutieren, aber nicht ein Gedicht von Wieland oder Matthias Claudius zu interpretieren.
Buchhändler, die hierzulende kluge Leute sind und in jungen Jahren anspruchsvoll Sprachliches studiert haben, zahlen hohe Ladenmieten und dienen einer kaum noch prätentiösen Kundschaft. es geht ihnen in ihren Geschäften schlecht. wer überleben will, macht Kompromisse und spezialisiert sich auf Kinderbücher, Kalender, Poster, Spielwaren und auch digitale Filme. die Lieblingslektüre bestellt man als Belegexemplar, um sie selber am Wochenende zu lesen. der versierte Bücherfreund, welcher dafür als Käufer in Frage käme, geht zunehmend fremd und ordert online Bücher. die Bequemeren beziehen ihre Lektüre grundsätzlich im Internet als kopierbare Datei und sind für qualifizierte Empfehlungen kaum erreichbar. die Saat der sorgfältig editierten Gelehrsamkeit geht nur noch für wenige auf. es sind die Konservativen einer universellen Neugierde, die inmitten einer grassierenden Amnesie am Gedruckten festhalten. wenn sie aussterben und keine bibliophilen Erben hinterlassen, landen ihre angehäuften Schätze entweder auf dem Trödelmarkt oder ganz profan im Altpapiercontainer.