petting des ich


(ein investigativer rückblick)

während im Schachspiel einzig der Grossmeister noch einen Computer in Verlegenheit bringt, siegt beim psychologisch weniger verbrämten Go bereits ein mässig talentierter Spieler. er hat ersteres seit seiner Schulzeit probiert und am liebsten gegen sich selbst gespielt. bei gewieften Gegnern wurden meist verlorgen, da er keine Eröffnungen mit all ihren Haupt- und Nebenwegen auswendig lernen mochte. ein destruktives Orang-Utan-Spiel mit dem dummen B-Bauern wollte niemand mit ihm, sondern bloss gegen ihn parieren, obwohl sich hier spannende Stellungen ergeben können. ebenso ergeht es ihm ausserhalb der Spielewelt, mit eigenwilligen Ansprüchen bleibt er ein unbedarfter Einzelgänger. man darf heute nicht ein waghalsiger Freak sein, das zu führend Leben ist abgesichert von der Schule bis zur Rente optimal zu führen. bleibt der Erfolg trotzdem aus, dann um das Lernen voranzutreiben. wenn du verlierst, verliere nicht den Lerneffekt, fordert sogar der Dalai Lama in einer seiner Lebensregeln. der Karriere ist alles Neigen unterzuordnen und jede erlittene Niederlage ein Stigma, ein verwirrend schlecht einzuordnender Bruch in der Vita. niemand darf auf seine ausgestandenen Niederlagen stolz sein.
wer sich indes auf Beckett beruft, kann immerhin ein schönes, stilvolles Scheitern für sich reklamieren: ever tried. ever failed. no matter. tried again. failed again. failed better. für das allgemeine Niveau gibt es die schicke Versager-Provokation. demgemäss laufen derzeit junge Leute mit Shirts herum, auf denen Public Enemy, Bad Boy oder Staatsfeind zu lesen ist. mit selbstentwertenden Zuschreibungen wollen sie provozierend verstören. nur weit gefehlt, man kann willentlich herunterkommen und verwahrlosen, aber sobald jemand als Loser halbwegs gut leben kann, ist er keiner mehr. jedenfalls kein richtiger. Kapitulationen werden erst ernst genommen, wenn die Lebensführung wirklich misslingt und nicht um Aufmerksamkeit buhlt. einzig bei authentischen Niederlagen ist ein Mitleiden zu erwarten. der Schnorrer bekommt deswegen Kleingeld, der Politiker Wählerstimmen und ein Künstler, falls er Glück hat, ein bescheidenes Stipendium.
es fällt schwerer, radikal zu scheitern, wenn sich Radikalität nicht mehr authentisch bahaupten lässt. woran soll man sie noch erkennen? an einer ausgelösten Verstörtheit? oder am folgenden Gelächter? wer nach individuellen Regeln ein Abenteurer sein will, muss sich ebenbürtige Gegner erfinden. es nützt nichts, beharrlich gegen Normen anzurennen, kreativ Ordnungen zu unterlaufen. selbst dem kompromisslosen Situationisten Guy Debord ist es nicht gelungen, sich damit durchzusetzen. in seinen Texten und Büchern, besonders in den späten, verstörte er mit viel Raffinesse, so dass er seinen Kritikern wie im Wettlauf der schummelnde Igel dem Hasen unentwegt eine Runde voraus war. nur nachhaltig hat es ihm nichts genützt. heute führen Biographen seine Lebensstrategie gern auf eine psychotische Paranoia zurück.