petting des ich


(ein investigativer rückblick)

sein Bildungsweg begann mit einem Fehlstart. der obligatorisch einstimmende Einschulungsfeier startete ohne ihn, da seine Mutter den Termin um eine Stunde verpeilt hatte. sein Vater arbeitete auf einer rumänischen Baustelle und die nahe liegende Verwandtschaft war unabkömmlich ferngeblieben. nachdem er die Weihe verpasst hatte, landete er wie ein Findelkind auf dem letzten freien Platz in einer Klasse, die ihn argwöhnisch musterte, und besonders eine junge Lehrerin. sie sollte ihn in den nächsten Tagen ziemlich verwirren. er kam, obgleich gut motiviert und vorbereitet, in ihrem Unterricht nicht zum Zuge. während andere auf die Frage, was sie später werden wollten, sogleich mit Kosmonaut, Polizist oder Arzt antworteten, fiel ihm nichts Passables ein. nach dem Kindergarten war er froh, erst einmal Schüler zu sein. darauf hatte er sich lange gefreut. beim Rechnen blieb er ebenfalls wortkarg, da nicht mit Zahlen, sondern mit Äpfeln oder Birnen Aufgaben zu lösen waren. er dachte bei diesem Obst ans Kuchenbacken, getraute sich dies freilich nicht zu sagen und sein Schweigen wurde als einfältig eingestuft.
glücklicherweise zogen seine Eltern in einen anderen Stadtbezirk. dort erwartete ihn in einer alten Schule eine langgediente Pädagogin. sie erkannte seine Begabungen und er bekam bessere Zensuren, die seine Grosseltern mit jedem Zeugnis ordentlich honorierten. für jedes Sehr-Gut erhielt er eine Mark und bei einer Zwei 50 Pfennige, was die Motivation ungemein hob. arg anstrengen musste er sich irgendwann in keinem Fach mehr. trotzdem übersprang er nicht, wie es nun üblich ist, als leistungsstarker Schüler einen Jahrgang und kam auch auf keine Sonderschule für Hochtalentierte. wurde in seiner Klasse der Unterrichtsstoff so lange wiederholt, bis ihn der letzte Faulenzer halbwegs begriffen hatte, las er heimlich unter der Bank einen Roman oder liess einfach seiner Phantasie freien Lauf. überfordert war er nie und unterfordert ebenso wenig.
heute werden begabte Schüler rund um die Uhr gecoacht. die Eltern erwarten von ihnen eine akademische Karriere und Lehrer probieren, um das Lernen zu optimieren, neueste pädagogische Konzepte aus. doch sie vergessen, dass sie Kinder vor sich haben, die in einer eigenen Erlebniswelt ihre Erfahrungen sammeln. im Gegensatz zu einstigen Spätstartern wie Kant, Fontane und Einstein können Frühbegabte inzwischen mit vier Jahren lesen, machen mit 14 das Abitur und gelangen als Zwanzigjährige in zielführende Gehaltspositionen. Zeit zum Grübeln und Phantasieren haben sie wenig, wenn unentwegt etwas zu lernen ist. das macht auf die Dauer lebensfremd und opportunistisch. wer gleich nach dem Abi an eine Uni geht, ist ohnedem zu jung für ein eigenständiges Denken. er will alles nur richtig machen und paukt lieber für Abschlüsse als für die eigene Reife. kreative Denker mit einem kritischen Bewusstsein für pervertierte Zustände reifen dabei selten heran.