petting des ich
das möchte er auch mal sein: ein Radio-Moderator bei einem Klassik-Sender.
sie beschäftigen dort ja sensibel kultivierte Leute. zum Musiker würde es bei
seinem Hörverständnis nie reichen, doch zu einem Moderator, der nur die Titel und
Klangkörper ansagen muss, allemal. er würde für ein feines, kleines Publikum
jede Sinfonie ausspielen und opulente Opern wie die von Wagner bis zum letzten Akkord.
hinter schalldichten Wänden hätte er alle Zeit, um seinen Gedanken
ungestört nachzusinnen.
so er aber kein Moderator ist und bloss ein Radio mit einem
schwach zu empfangenen Kultur-Sender besitzt, muss er sich bescheiden und
allerlei Ablenkung ertragen. gelegentlich mit dem Schreiben von Bewerbungen
für profane Jobs. zu einem Vorstellungsgespräch kommt es
selten. für frei gewordene Stellen werden grossartige Macher oder
teamfähige Mutanten gesucht. für Menschen, die solches
nicht verkörpern und eigensinnig ambitioniert, also ungewöhnlich
talentiert sind, bleibt die mässig oder gar nicht bezahlte Freiberuflichkeit
übrig. sogar Marx ist es in Jahren der Not so ergangen. wegen seiner
unleserlichen Handschrift wollte ihn nicht einmal in London die Eisenbahn
anstellen. als Korrespondent verschiedener Zeitungen und mit dem Geld von Freund
Engels konnte er freilich seinen bürgerlichen Haushalt bis zum Ende im Exil
einigermassen alimentieren.
wem eine solche Hilfe nicht vergönnt ist, der wartet wie beim Lottospielen
wöchentlich darauf, dass das Überlebensglück die nötigen Summen herbeizaubert. das
Gedeihen des Nimbus steigt derweil reziprok zum eigenen Vermögen.
nur soll man sich darum den Angepassten anpassen und sich für Referenzen
zum Steigbügelhalter herabsetzen? bei Strebern ist es nach wie vor üblich.
sie zielen auf Karrieren und erdulden dafür Jobs als Advertisement-Texter oder
Junior Marketing Controller, mit denen sie ihre Lebenszeit vergeuden. er bleibt
lieber klamm bei Kasse und genügsam im Begehren. die sympathischen Arbeitsstellen
sind eh vergeben und der Rest nicht bezahlte Praktika. oder man offeriert Angebote, die wahrlich
keine sind, da sie als Publicity für kleine aufsteigende Firmen vorliegen. manchmal
werden bei schriftlichen Bewerbungen direktemang persönliche Daten gesammelt und
weiterverkauft. nicht selten versucht ein Chef indirekt Druck auf seine Angestellten auszuüben,
indem er ihnen mit einer publiken Stellenanzeige offenbart, dass sie
obgleich seit Jahren routiniert, kurzfristig ersetzbar wären. nur man ist
weder das eine noch das andere und nirgendwo richtig einsetzbar.
vermutlich bleibt man auf ewig sein eigener Angestellter und wegen latenter
Rückenschmerzen ebenso die auf Pausenzeiten drängende Gewerkschaft dazu. damit
sich daran nichts ändert, müssen die eigenen Fähigkeiten vor Head-Huntern weiterhin
gut verdeckt und versteckt bleiben.