petting des ich


(ein investigativer rückblick)

hätte er Karriere gemacht, dann wäre bestimmt nichts Bemerkenswertes aus ihm geworden. in der Schule war er, weil sehr gute Zensuren seinem preussischen Pflichtgefühl entsprachen, ein strebender Einser-Kandidat. erst mit der Studienbewerbung kam Ernüchterung auf. er beabsichtigte, die Soziologie in der Saalestadt Halle zu studieren. vornehmlich wegen Max Weber, den er früh entdeckt und hochfahrend gelesen hatte. in einem prüfenden Eignungsgespräch wollte man jedoch von diesem bürgerlichen Denker nichts wissen. die bekundeten Präferenzen lagen bei einer sozialistischen Ökonomie, für die Planwirtschaftler ausgebildet wurden. mit jener Spezialisierung wollte sich wiederum sein Bildungsdrang nicht arrangieren, so dass nicht er, sondern die ignoranten Prüfer, die ihn eigentlich massnehmen wollten, durchgefallen waren. er verzichtete auf seine Bewerbung grosszügig und zum Entsetzen des Klassenlehrers auf ein Studium generell. das Theater in Cottbus, wo er nach dem Abitur als Beleuchter zu arbeiten begann, wurde seine Ersatz-Uni. dort jobbten zahlreiche Aussteiger mit einem Buch in der Hand oder, wenn es wenig Pausen gab, in der Kitteltasche. etliches hat er in dieser Zeit gelesen und dank förderlicher Diskussionen mit angehenden Bühnenbildnern, Dichtern und Bildkünstlern behände verstanden. mit dem Sound von Opern oder dramatischen Dialogen reiften hier kulturhoheitlich geschützt Individualisten zu einer Bohème heran.
da er seine aufkeimenden Talente allerdings hinter der Bühne selten unter Beweis stellen konnte, wechselte er nach vier Jahren in das Journalistenfach einer kleinen liberalen Tageszeitung. deren Lokalredaktion wurde seine zweite Hochschule. man durfte hier über politisch Unverfängliches, regional einfallsreich berichten. und wenn es nicht gelang, dann forderte die Konfrontation mit einer kollektiven Vermeinung und ihrer politischen Kasuistik die Phantasie gehörig heraus. man lernte ungewöhnliche als auch äusserst gewöhnliche Menschen kennen, schrieb und fotografierte in der Hoffnung auf Weltverbesserung mancherlei Passables. letztendlich gelang es freilich nicht, sich einer akademischen Herausbildung zu entziehen. seine Zeitung delegierte ihn gegen seinen Willen nach Leipzig, wo er die Journalistik zu studieren hatte, und dies glücklicherweise wenige Monate vor dem endgültigen Niedergang der DDR.
er kam als Immatrikulierter in den Genuss einer euphorischen Umbruchzeit mit verlockenden Offerten und wenigen Verpflichtungen. sein Studium, das sich bald offiziell Kommunikationswissenschaft nannte, wurde ein Studieren der Philosophie, Kulturgeschichte und Soziologie. Prüfungen waren selten zu meistern, so dass genügend Zeit für freiwillige Mathematik-Vorlesungen, Vernissagen und Theaterabende blieb. der Alltag rhythmisierte sich mit montäglichen Demos und unzähligen Unterschriftensammlungen, in denen auch eine deutsch-deutsche Wiedervereinigung unter einer biederen Nationalhymne resolut abgelehnt wurde. jeder bekannte sich wortreich zu einem visionären, für viele Wünsche offen bleibenden Leben. die Vagheit jener Umbruchzeit sollte möglichst lange andauern. deshalb opponierten Studenten mit hehren Ansprüchen gegen alte wie neue Autoritäten und forderten sogar Semesterabschlüsse ohne Zensuren. so grössenwahnsinnig, so optimistisch ware man damals.