petting des ich


(ein investigativer rückblick)

manches Haus in dieser Hauptstadt stand einst in einem anderen Land. die deutsch-deutsche Wiedervereinigung hat, so der Mensch zu vieles bewegen kann, zu vieles saniert und bis zur Unkenntlichkeit ajouriert. graue Tristesse als substanzielle Zerbröselung wurde innerhalb weniger Jahre farbig angestrichen und gewinnbringend modernisiert. wo Kriegsbrachen bis zum Ende der DDR Freiflächen frei liessen, sind noble Eigentumswohnungen emporgewachsen. sie setzen sich wie Metastasen von Nachbarhäusern ab und es brennt abends, so es sich um Zweit- oder Drittappartements von vermögenden Jetlegbesitzern handelt, selten dort Licht. das Milieu leidet darunter und muss wegen steigender Mieten in Plattenbauten an den Stadtrand ziehen. die angestammten Gewerbe weichen ebenfalls, um Platz für noble Boutiquen sowie sushi-Restaurants zu schaffen.
Architekten entwerfen selten sozial Verträgliches. es hat unentwegt auffallend und für ihre Hochglanz-Zeitschriften fotogen zu sein. das Funktionale unterliegt einer ästhetischen Sinngebung, die wie bei der neuen Bibliothek der Humboldt-Uni als kontemporäre Verkehrung gern ausgezeichnet wird. von Aussen sieht sie wie ein futuristischer Bunker aus, das Innere ist durch Streben sowie enge Fenster perspektivisch aufgeblasen und, da akustisch unbedacht konzipiert, voller echoverstärktem Rumoren. die zeitgenössische Architektur will nicht pragmatisch dienen, sondern als eine vornehme Kunst bewundert werden. sie ist mit ihrem Hang zum schrillen Design ein globaler Eklektizismus geworden, der Stile beliebig vermengt und sich von einer formalen Funktionalität ironisch absetzt.
mit den oszillierenden Datenströmen der digitalen Handy-Welten lebt der Mensch virtuell freigesetzter. die räumlichen Grenzen zwischen Privatem und Öffentlichem schwinden, allein das zu bewohnende Haus bleibt ein dreidimensionales Gehäuse und als Immobilie ein Garant für die vertraute kartesische Welt. in ihm sollte man sich zurückziehen können und intimen Schutz finden. ubi bene, ibi domus, wo es einem gut geht, will man daheim sein und kein Fremder. es muss wahrlich nichts Grossräumiges mit Terrasse sein. ein angenehm abgehbarer Grundriss mit einem kleinen Balkon würde völlig reichen. nur das ist bei modernisierten Mietshäusern äusserst selten zu bekommen. Balkone passen nicht mehr in von hippen Architekten gestylte Fassaden. ihre Berufsgild zieht es dennoch vor, in altsanierten Gründerzeit-Villen zu residieren, ihre auf nobel-preiswert getrimmten Entwürfe müssen Mieter ertragen. Bauen, Wohnen und Denken finden in diesen Zeiten selten zueinander.