nullsummenspiele


logbuch eines kunstschaffenden

ich leide seit tagen an einer müdigkeit, die mich nicht zur ruhe kommen lässt. einzig engel können wohl jede nacht sorglos durchschlafen. sie sehen immer so gesund aus.
 

selbstporträt als Carnegiea gigantea - als ein drei meter hoher kaktus mit einem stolzen alter von 45 jahren.
 

mit 15 war ich 15, mit 30 etwa 20 und jetzt mit ende 40 bin ich bereits über 50. ich habe mich überholt, ohne mich einzuholen.
 

kein grund zum aufhören, und kein grund zum weitermachen beim ausformulieren von ausreden.
an manchen tagen bin ich einfach zu träge, um richtig faul zu sein.
 

und immer noch die frage, wie es den weitergehen soll? gegen plan A hilft plan B, gegen plan B plan C oder plan D. und irgend-wann hat man automatisch sein soll übererfüllt.
 

zu meiner arbeitsweise: es gibt herrliche ablenkungsmanöver (fernsehen, duschen, müll runterbringen), es liegen möglich-keiten der stimulation vor (schokokekse, coitieren, schach spielen) oder es wird bei flauten getrickst (bücher lesen, kataloge durchblättern, aufräumen) und last not least gilt: wenn heute nicht, dann vielleicht morgen oder übermorgen.
 

die feinen unterschiede: viel bildende kunst macht auf dauer gebildete eingebildet und sensible menschen neurotisch.
 

ein flüstermodus versprach mir gerade: wenn dir das gefällt, was mir gefällt, dann wird mir auch das gefallen, was dir gefällt.
 

ich verstehe das unwesen des kunstbetriebs, bin aber, da ich mich auch ausstelle und profiliere, ebenso ein teil von ihm, der an eine ästhetische freiheit glaubt. nicht das system an sich, sondern seine varianten produzieren ständig ideale, die nicht in einem erforderlichen idealismus aufgehen.
 

what you think is not what you see.
eine illusion lässt sich bloss mit einer anderen illusion wider- legen. die einbildungskraft schöpft aus ihren eigenen anlagen, sie generiert immerwährend sich selbst. und somit bleibt ihre reichweite begrenzt.
 

die kommende revolte gegen die spasskultur, ich kann nicht mehr an sie glauben und bin enttäuscht von ihr.
 

"meine malerei ist nicht revolutionär. wozu soll ich mir die illusion machen, dass sie kämpferisch ist."
Frida Kahlo
 

nicht einmal träume können noch überraschen, visionen ja schon lange nicht mehr. die kunst muss ganz gegenwärtig ohne das unheimliche auskommen.
 

der umwelt zuliebe gibt es nun pfandflaschen und -dosen. die rückgabe wird zum big business für die discounter, wenn sie ausbleibt. und zur conditio sine qua non für sammler, wo sie wegen steigender lebenshaltungskosten damit ihr existenz-minimum aufbessern müssen.
 

seit einiger zeit nur noch denkfragmente, nichts als denk-fragmente in meinen notizbüchern. und sterne in unklaren nächten wie vergessene stars im show-business.
 

wer weiss noch, wer Marsyas war? und wer kennt noch seine wild herausfordernden gesänge?
Apollon hat auf ganzer linie gesiegt.
 

spruch aus dem internet: was aufgeschrieben wird, wird bald vergessen. denn was man vergessen hat, kann man vergessen.
 

ich sehe in letzter zeit nur noch freaks auf den strassen, die immer älter werden. die jungen jahrgänge kneifen zu gestylt in dieser hinsicht.
 

der plausiblen teilung der landschaft in vier himmelsrichtungen wie der einleuchtende einteilung des neuen testaments in vier evangelien steht noch immer das völlige unverständnis einer vierdimensionalität des raumes gegenüber.
die unbekannten gebiete des normalen, wo alles wichtig ist, es sei denn nicht.
 

als künstler muss man sich in der philosophie, in den natur-wissenschaften, im marketing und in der buchhaltung gut auskennen. ansonsten kann man überhaupt nicht mehr in diesem beruf bestehen.
 

das anhaltende gefühl mein eigener angestellter zu sein. und wegen potentieller rückenschmerzen auch die gewerkschaft dazu.
 

trotz wachsendem köchelverzeichnis nur noch alle zwei, drei jahre eine ausstellungsbeteiligung. meine kunst braucht wegen mangelnder beziehungen zu professionellen galerien ihre zeit.
 

wer nicht gelobt und ausgezeichnet wird, kann machen, was er will. selbst wenn er es eigentlich nicht will.
 

ist man an einem persönlichen tiefpunkt angekommen, beginnt man sich nach sinnstiftenden zusammenhängen zu sehnen. das leben kann in solchen momenten ein dicker roman von Thomas Pynchon sein, in den man sich eine verschwörungs-theorie hineinlesen muss.
 

lieber nichts als gar nichts meinen.
hinter einem tiefen gedanken wartet oft ein grosses gelächter. doch wie selten denkt man tief.
 

das verfallsdatum mancher einfälle.
die pro-mille der vollen und die no-mille der leeren flasche.
gemessen an meinen lebenserfahrungen sind meine arbeiten banal. oder ist es umgekehrt?
 

was ich schon lange einmal aufschreiben wollte: wer etwas zu sagen hat, muss nicht gleichfalls auf sich hören.
 

könnte man nicht die bilder der anderen malen, könnte man keine eigenen bilder malen. ohne erschlichene originalität hält sich keiner lange in der kunst. authentizität allein reicht nicht.
 

zu viel gewogenes und zu viel für zu leicht befundenes.
seitdem berge nicht mehr zu den propheten kommen, sind verhängnisvolle erdbeben seltener geworden.
 

wie viele boutiquen und galerien bereits aufgegeben haben, seitdem ich in Berlins mitte wohne. aber damit ich sie nicht überlebe, wird alles bald wieder renoviert, umbesetzt und neueröffnet.
 

wieder endet ein jahr der geldknappheit und des standhaltens. das nächste wird mich nur mit einer gehörigen abfindung los. ansonsten verweigere ich wie die allzu selbstbewusste zarin im russischen märchen den wechsel.
 

keine termine, keine besonderen vorkommnisse. ich spiele räuberschach gegen mich selbst.