mikado als symptom


(eine vage klarstellung)

individuelle Probleme wurden in der DDR mit einer Eingabe bei den zuständigen Organen reklamiert oder gleich direkt an die Adresse des Staatsratsvorsitzenden geschickt. fast immer bekamen sie eine Antwort, die eine baldige Besserung versprach. in Gaststätten konnte sich der unzureichend bewirtete Bürger direkt beschweren. das löste einen Frust, wenn er wie von meinem Vater mit einer gewissen Häme aufgeschrieben wurde, zusehends auf. jedenfalls bis zum nächsten Besuch, an dem wieder der Service zu beanstanden war. dafür lag ein Gästebuch vor, welches tatsächlich ein Beschwerdebuch war. mein Opa schrieb hier nie seine Klagen hinein, er war ein Kontrolleur der Arbeiter- und Bauerninspektion und hatte zum Leidwesen der Familie stets etwas beim Gaststättenleiter zu reklamieren. er zitierte ihn herbei und es dauerte eine Weile. seine Kritik verleidete uns gehörig das Essen, das kalt wurde, da man es, wie nunmehr üblich, nicht sofort austauschte.
im Zeitalter der digitalen Vernetzung kann jeder seine Unzufriedenheit mit dem Unterzeichnen von Petitionen bekunden. ganz schnell darf er seine Meinung meinen, welche sich mit einem Maus-Klick für oder gegen etwas einsetzt. vereinen sich viele auf diese Weise, dann wird es eine Kampagne und die Zeitungen berichten darüber. doch im Grunde ändert sich nichts. das Petitionieren wird kaum ernst genommen, seitdem in Foren Betroffene permanent die Betrügereien von globalen Dienstleistern oder Versprecher von populistischen Politikern monieren. häufig werden auch absurde Anliegen, wie etwa ein besseres Fernsehprogramm oder die Abschaffung der GEZ-Gebühren, lauthals prätendiert. jeder kann in einer demokratisch befriedeten Gesellschaft gegen alles sein, muss es aber letztendlich akzeptieren, dass er trotzdem dazugehört. die öffentlich geäusserte Kritik ist nur ein Dampfablassen, das bestenfalls Aggressionen abbaut.
in der DDR hatte man dies nicht erkannt und mit der Unterdrückung der freien Meinung den eigenen Untergang umso mehr beschleunigt. keine Bürgerbegehren, lediglich Verbesserungsvorschläge wurden entgegengenommen und als Erfindungen auf der Messe der Meister von Morgen ausgestellt. junge Tüftler konnten sich präsentieren und öffentlich loben lassen. politische Veränderungen, wie sie an den gesellschaftlichen Rändern, in den trostlosen Zonen der Kneipen ausgebrütet und ungestüm diskutiert wurden, akzeptierte die Staatsmacht keinesfalls. eine Kritik an den bestehenden Verhältnissen durfte einzig und allein eine konstruktive mit einer volkswirtschaftliche Bedeutung sein. also musste man seinen Unmut geschickt formulieren. der prominente Maler Bernhard Heisig hat einmal auf diese Weise dafür gesorgt, dass in Leipzig die Stasi-Zentrale in den Nachtstunden ihr Licht dimmte. er schlug es dem Leiter als eine Strom-Einsparung vor und schonte, nachdem es umgesetzt wurde, so den Schlaf in den benachbarten Wohnhäusern.