mikado als symptom
man wird alt, wenn das Umfeld historische Dimensionen bekommt. es ist nicht einfach das Vorliegende, es ist etwas vergleichbar Relatives geworden. manchmal besser, aber meist schlechter, so es der Herbst des Lebens mit reichlichen Erfahrungen misst. sitzt er in einer Kneipe, erinnert er sich an die Kneipen von vor Jahren und fühle sich unwohler beim Biertrinken. die Theken sind nicht mehr gemütliche Orte, wo er auf ein vertrautes Milieu trifft. kommt er unverhofft mit einem alten Bekannten ins Plaudern, wird es nicht anregender, weil nun gemeinsam bemerkt wird, dass wenig bleibt, was es ist.
sogar das Internet hat sich in seiner kurzen Geschichte so verwandelt, dass er nun als ein Fremder in ihm navigiert. es gibt hier weniger echte Freaks als Wahlverwandtschaften und selten Anregendes für die Inspiration. in der Regel sind es Algorithmen, die apodiktisch Bücher und Gesprächspartner empfehlen, mit denen man nichts anfangen kann. eigentlich ist man erst alt, wenn die Haare aus den Ohren, der Nase spriessen und die Augenbrauen buschiger werden. laufen Vorurteile und Gewohnheiten ins Leere, stellen sich auch ohnedem anachronistische Gefühle ein. in Wohnungen, die zu lange behaust werden, sammeln sich vermehrt Staubflusen an, auf den Bücherregalen, hinter den Ordnern, in mit Kleinkram verstellten Ecken. die Hausbibliothek ist eine ausgelesene und die aufgesuchten öffentlichen beginnen zu fremdeln. wegen dem Kulturwandel werden kaum noch substanzielle Bücher angeboten. die aussortierten, unverlangten Klassiker oder Avantgarde-Schreiber verramschen die Angestellten für kleine Spenden im Foyer. oder sie wandern gleich in den Altpapier-Container.
im reifen Alter will man sich über derartige Verluste nicht ereifern. es werden nicht die konkreten Verhältnisse, sondern bei zunehmenden Schweissausbrüche die eigene Losigkeiten angeklagt. über billigen Schund und clevere Dummköpfe mit einem durchsetzungsfähigen, mithin hemmungslosen Drang zu lamentieren, wäre ein unseliges Unterfangen, weil es einen kompromittiert als einen Unzeitgemässen, der man tatsächlich schon immer war und auch sein wollte. Notizen, die sich in Kladden über Jahrzehnte erhalten haben, können es nur zu gut belegen. oder nicht mehr, denn was er hier aufgeschrieben hat, verdeckt ebenso das, was nicht aufgeschrieben wurde. vielleicht da es als das Unartikulierbare sich beständig einer Deutungshoheit verweigert, während die Sprache sich wandelt und vornehmlich das verstanden wird, was verstanden werden will. dagegen hilft in späten Jahren keine Ergotherapie, keine Psychomotorik und auch keine Logopädie.