mikado als symptom


(eine vage klarstellung)

immer wieder diese Familienaufstellung unter einem Tannenbaum, und keiner darf fehlen. dem drögen Weihnachtsfest mit dem anschliessenden Silvestergelage versuchte ich mal, als noch superbillige Last Minute Tickets angeboten wurden, mit einer spontan geplanten Reise zu entkommen. ich flog zum Jahresende mit einer Lebensgefährtin und meinem ersten Sohn nach Budapest. es war dort bitterkalt und völlig verschneit. das Flugzeug landete mit Schwierigkeiten auf einer vereisten Landebahn, um in einer Schneewolke langsam auszuschlittern. bei unserem Flanieren über die Brücken der Donau starrten wir in den nächsten Tagen auf dicke Eisschollen, während ein eisiger Wind uns um die Ohren pfiff. die Temperaturen blieben weit unter dem Gefrierpunkt und zwangen zu einer ständigen Einkehr in Cafés oder am Abend in eine Sauna, da auch unser Herbergszimmer stark unterkühlt war.
bei jener Kälte blieben zahlreiche Gäste in der Hotel-Lounge und zelebrierten, obwohl sie dem wie wir entkommen wollten, eine improvisierte Weihnachtsstimmung. es war ein Fest wie in einem grossen Betrieb, wo sich keiner richtig kennt und niemanden richtig kennenlernen will. der Jahreswechsel wartete indes mit einer pläsierlichen Überraschung auf. trotz der Eiseskälte wurde auf den Strassen der Donau-Metropole annehmlich gefeiert. ein Feuerwerk war offiziell verboten und somit gab es angenehmer Weise keins. auch keine Raketen und Böller, dafür stimmungsvolle Umzüge mit Tuten und Masken. so wurde der Jahreswechsel ein anheimeliges Fest, dem einzig die Sterne unter kleinen vorbeiziehenden Wolken zublinkten. derart lauschige Silvesterfeiern habe ich lange nicht mehr erleben dürfen, nur enthemmt ausufernde, bei denen die Raketen nicht gen Himmel, sondern gleichfalls die Strassen hoch und runter zischten. und besonders gefährlich wurde es bei der Millenniumsfeier in Berlin, die ich wegen einer fehlgeplanten Verabredung mit Freunden mutig in Kreuzberg allein verbrachte.
ohne Feuerwerk wird hierzulande kaum noch eine Geselligkeit zelebriert. man entzündet Bengalisches bei fast jeder Gelegenheit, im Fussballstadion trotz verschärfter Kontrollen und im Sommer bei romantischen Festen am See. es reicht nicht aus, den Sonnenuntergang zu geniessen, nein es müssen bei lauter Beschallung glitzernde Funken sein, welche wie die vielen Stars im Kulturbetrieb effektvoll erstrahlen. ich halte mich vorzugsweise an die nicht verglimmenden am Firmament. der Blick in die unendliche Weite des Alls greift tief ins Urvergangene, in um Lichtjahre zurückliegende Zeiträume. mit jenem Horizont erhoffe ich mir, den trügerischen Schein des Diesseitigen zu relativieren. hilft es nicht, dann bleiben die Erinnerungen an bukolische Lagerfeuer, die immer noch erwärmen.