mikado als symptom


(eine vage klarstellung)

als Alternative zum kitschigen Weihnachtsbaum verbreitete sich die Mistel in ostdeutschen Wohnzimmern. im Englisch-Unterricht entdeckten wir sie als akzeptables Dekor, nachdem uns die Lehrerin verriet, dass man sich gemäss einem alten Brauch darunter küssen darf. solches musste natürlich auf Feten ausprobiert werden. doch war es schwer, Misteln zu bekommen. sie wurden nicht in Blumenläden angeboten und hingen, als die Winter frostiger über das Land fegten, höchst selten in Bäumen. erspähte man eines jener parasitären Gewächse in der Krone einer Birke oder Kiefer, liess es sich nur von guten Kletterern herunterholen. als Lehrling in einem Fernmeldeamt bekam ich jedoch ab und zu einen Zweig von Monteuren, die mit einem Leiterwagen täglich im Lausitzer Land herumfuhren, um Telefonverbindungen zu flicken.
die Mistel verspricht nicht nur Liebesglück, ihr wird gleichfalls eine heilende Wirkung bei Entzündungen nachgesagt. seitdem es sich herumgesprochen hat, bekommt man sie überall zu kaufen und sogar in Teebeuteln für die gesunde Blutzirkulation. als Raumschmuck ist sie anheimelnder als die in der Lausitz lange gebräuchliche Kiefer mit ihren wuscheligen Nadeln. meine Eltern hielten lange an jener Tradition fest, da sie der Duft von brennenden Kerzen auf harzenden Zweigen an die heimelige Nachkriegszeit erinnerte. erst als Rentner entschieden sie sich für eine dicht benadelte Nordmann-Tanne mit einer elektrische Beleuchtung. in Läden verzichten Dekorateure zunehmend auf festlich geschmückte Bäume und manche auf ein kitschiges Weihnachtsdekor überhaupt. viele wollen es nicht mehr sehen, nachdem sie schon Schokoladen-Weihnachtsmänner und Stollen ab September im Supermarkt vorfinden. die Adventszeit wird minimalistischer eingeläutet und das traditionelle Lametta kaum noch gekauft. deshalb ging unlängst eine Firma insolvent, die seit 100 Jahren darauf spezialisiert war. das ist nicht bedauerlich, denn jeder kann, wenn er will, sich den blinkenden Schmuck mit Alufolie herstellen, ihn einfach mit einem Handschredder, der wohl in jedem Haushalt vorliegt, selber zurechtschneiden.
auch Lichterketten zieren im Dezember weniger die Fenster. im Umfeld meiner Weddinger Wohnung irisierten sie lange wie auf dem Rummel die abendlichen Advents-Stunden. unzählige elektrische Kerzen, die Sterne, Herzchen und anderes an Fenstern figurierten, leuchteten nicht nur, sie blinkten rhythmisch im Stakkato bis zum Morgengrauen. man konnte sich davor nur mit dunklen Vorhängen oder heruntergelassenen Jalousien schützen. mittlerweile hat das Flimmern nachgelassen, es installieren einzig Hartgesottene weiterhin ihren Lichterzauber. der Brauch geht in Berlin tatsächlich auf eine schlichte Kerze zurück, welche in Zeiten der Teilung als Zeichen der Solidarität beidseitig der Mauer ins Fenster gestellt wurde. nur das wissen die wenigsten. sie ahmen stattdessen mit ihrer leuchtenden Dekoration Bräuche aus Amerika nach, die sie im Fernsehen sehen und es ja generell recht bunt mögen.