mikado als symptom


(eine vage klarstellung)

in heissen Ländern wird äusserst scharf gebraten. das ist verdächtig und war es vor allem während seiner Reisen in Rumänien. hier grillte das Fleisch mit einem grünlichen Schimmer auf dem Rost und wurde von dicken Fliegen umkreist. er ass lieber nur Brot oder einen Gulasch aus mitgebrachten Dosen. der schmeckte zwar nach dem dritten Tag fad, blieb für den Magen indes geniessbar. richtig scharf wurde mit Peperoni in seiner Schulzeit Selbstgekochtes gegart. man schmorte sich als Schüler zu Hause ein Mittagsmahl mit einer Tomatensosse und ermittelten in einem Wettbewerb, wer es ganz, ganz pikant bei hechelnder Zunge und brennendem Gaumen herunterbekam.
zu scharf gewürzt ist selten verträglich und besonders bei einem Pfeffer, den die Polizei gegen Demonstranten spritzt. für die Augen wird es gefährlich und eventuell ein Fall für den Notarzt. dagegen kann sich nur schützen, wer einen Integralhelm bei sich trägt. im Essen ist zu viel Schärfe ebenso wenig gesund. Marx hat trotz eines Furunkels herzhaft und fettig gegessen. sein Opa mit einer kranken Galle auch, denn sein Lebensglück war ein kulinarischer Wohlstand, der mit viel Fleisch nebst fetten Sossen deftig zu sein hatte und regelmässig zu Koliken führte. nach jeder Diät bestand er erneut auf sein üppiges Mahl und hielt bis zum nächsten Krankenhaus-Aufenthalt daran fest. zwischendurch wurde er mit lauen Suppen hochgepäppelt. mittlerweile ernährt sich der Mensch mit Rohkost gesünder und sündigt erst abends mit Chips, welche die perfekte Stimulation zum trashigen Fernsehen sind. die Hersteller tüfteln einen optimalen Geschmack aus und tricksen die Vernunft aus. der richtige Mix macht abhängig und lässt Süchtige sogar nachts aufstehen und die Reste in der Tüte suchen. bei ihm war es lange Zeit eine Gier nach Schokolade, zu der ich sich schlich, wann immer ihm beim Arbeiten nichts Delikates einfiel.
da die Kunst heute nicht mehr provozieren, sondern pikant auftreten will, werden ihre Angebote permanent aufgepeppt. die Galerien nennen sich Show-room und wollen mit einem teuren Parkett bei wohlausgerichteten Scheinwerferlicht die perfekte Präsentation sein. sie gleichen sich an und ähneln den Filialen einer Ladenkette, wo das Beste glänzend frisch präsentiert abhängt. mit handwerklichem Können wird optimiert, was erfolgreich im letzten Jahrhundert Furore machte. es sind keine Dilettanten, sondern Meisterschüler, die mit Akribie die formalen Innovationen der Avantgarden vervollkommnen. die Kunst hat ihre einst in improvisierten Ladenräumen ausgestellte Hilflosigkeit verloren. er genoss sie lieber so, sie inspirierte und gab ihm das Gefühl, dazuzugehören. heute fehlt eine aufregende Schnoddrigkeit. vielleicht ist ihm der Blick dafür auch abhanden gekommen. doch die Sehnsucht nach Makellosigkeit, in der Künstlichkeit auf mit allen Wassern gewaschenen Bilder zum Ideal wird, mag er nicht teilen und noch weniger kritisieren.