mikado als symptom
das Dasein ist kein einfaches Hiersein, insofern man sich das Leben auch hyperdimensional kompliziert vorstellen kann. da er sich mit solchen Raumerweiterungen ausgiebig beschäftigt hat, navigiert er in digitalen Netzwerken routiniert. schwer fällt es hingegen, die profane Ausrichtung in der realen Lebenswelt zu bewältigen. wo nur zwei Koordinatenachsen vorliegen, verirrt er sich garantiert. sein Richtungssinn verwechselt schnell links mit rechts und weiss nach der dritten Kreuzung nicht, was hinten oder vorn liegt. in einer fremden Stadt ist dann der Weg zu erfragen. in relativ bekannten wie Hannover und Dresden, wo eine Zeit lang Freunde besucht wurden, ebenso, da er nie allein unterwegs war. sogar im heimatlichen Berlin verläuft er sich. es ändert sich zu vieles und ist nicht mehr vertraut, besonders im Osten, wo fortwährend Häuser saniert und die Bewohner gegen Zuzügler ausgetauscht werden.
er kann sich Wege nicht merken, so dass Umwege einzuplanen sind und bei Landausflügen sogar ungewollt abenteuerliche. bereits als Kind verirrte er sich beim Pilzesuchen, wenn er die besten finden wollte und getrennt von der Familie loszog. in einem grossen Lausitzer Kiefernwald, der in ein Militärgelände mündete, hatte es ihn einmal arg abgetrieben. er stiess auf die seltenen Braunkappen und verlor, als er sie nacheinander erntete, die Orientierung. überhastet wählte er die falsche Richtung und rannte, in der Hoffnung mich an den Hinweg zu erinnern, kreuzweise hier- und dorthin. irgendwann geriet er auf Kieswege, die von frischen Panzerspuren zermahlen waren. verzweifelt wusste er weder ein noch aus. irgendwann traf er einen Mann, der seinen Stiefvater kannte und sich anbot, ihn mit seinem Jeep zurückzubringen. somit traf er beizeiten mit einem vollen Pilzkorb bei den Eltern ein. sein Verlaufen blieb leider nicht unbemerkt, nachdem seine Mutter den netten Helfer später traf und alles erfuhr.
das Verlaufen ist nicht immer ein Ärgernis, mitunter eine schickliche Fügung, man ist sich dessen nur nicht gleich bewusst. als Journalist mäanderte er mal hilflos mit einem Auto entlang zahlreicher Tagebaue von einem Werksgelände zum nächsten, um eine Pressekonferenz zu erreichen, über die er einen Bericht schreiben sollte. auf seiner Odyssee begegnete er einem redseligen Gewerkschafter, der ihm wichtige Interna über seinen Arbeitgeber offenbarte. mit jenem Hintergrundwissen erschien er noch rechtzeitig genug auf der gesuchten Veranstaltung, um mit einem Nachfragen zum Abbau von Arbeitsplätzen und geplanten Einsparungen bei Rekultivierungen einen lebhaften Wortwechsel auszulösen. seine Verirrung bekam ihre Rechtfertigung, so wie Um- und Abwege nachträglich fast immer einen Sinn ergeben. derweil es bei ihm freilich selten klappt mit dem Auslegen und Aufwiegen von Fehlgängen, gibt er die Hoffnung nicht auf, dass sich sein schlechter Orientierungssinn dermaleinst in eine andere Welt führt. in eine Welt, in der er vorbehaltlos ein Desorientierter sein darf.