mikado als symptom


(eine vage klarstellung)

das Dasein ist kein einfaches Hiersein, insofern man sich das Leben auch hyperdimensional kompliziert vorstellen kann. da ich mich mit solchen Raumerweiterungen ausgiebig beschäftigt habe, navigiere ich in digitalen Netzwerken routiniert. schwer fällt es mir hingegen, die profane Ausrichtung in der realen Lebenswelt zu bewältigen. wo nur zwei Koordinatenachsen vorliegen, verirre ich mich garantiert. mein Richtungssinn verwechselt schnell links mit rechts und weiss nach der dritten Kreuzung nicht, ob sie hinten oder vorn liegt. in einer fremden Stadt ist dann der Weg zu erfragen. in relativ bekannten wie Hannover und Dresden, wo eine Zeit lang Freunde besucht wurden, ebenso, da ich nie allein unterwegs war. sogar im heimatlichen Berlin verlaufe ich mich regelmässig. es ändert sich zu vieles und ist nicht mehr vertraut, besonders im Osten, wo fortwährend Häuser saniert und die Bewohner gegen Zuzügler ausgetauscht werden.
ich kann mir Wege nicht merken, so dass Umwege einzuplanen sind und bei Landausflügen sogar ungewollt abenteuerliche. bereits als Kind verirrte ich mich beim Pilzesuchen, wenn ich die besten finden wollte und getrennt von der Familie loszog. in einem grossen Lausitzer Kiefernwald, der in ein Militärgelände mündete, hatte es mich einmal arg abgetrieben. ich stiess auf die seltenen Braunkappen und verlor, als ich sie nacheinander erntete, die Orientierung. überhastet wählte ich die falsche Richtung und rannte, in der Hoffnung mich an den Hinweg zu erinnern, kreuzweise hier- und dorthin. irgendwann geriet ich auf Kieswege, die von frischen Panzerspuren zermahlen waren. verzweifelt wusste ich weder ein noch aus. irgendwann traf ich jedoch einen Mann, der meinen Stiefvater kannte und mir anbot, mich in seinem Jeep zu unserem Auto, das er bemerkt hatte, zurückzufahren. somit traf ich beizeiten mit einem vollen Pilzkorb bei meinen Eltern ein. mein Verlaufen blieb leider nicht unbemerkt, nachdem meine Mutter den netten Helfer später traf und alles von ihm erfuhr.
das Verlaufen ist nicht immer ein Ärgernis, manchmal auch eine schickliche Fügung, man ist sich dessen nur nicht gleich bewusst, es wird erst im Nachhinein klar. als Journalist mäanderte ich mal hilflos mit einem Auto entlang zahlreicher Tagebaue von einem Werksgelände zum nächsten, um eine Pressekonferenz zu erreichen, über die ich einen Bericht schreiben sollte. auf meiner Odyssee begegnete ich einem redseligen Gewerkschafter, der mir wichtige Interna über seinen Arbeitgeber offenbarte. mit jenem Hintergrundwissen erschien ich noch rechtzeitig genug auf der gesuchten Veranstaltung, um mit einem Nachfragen zum Abbau von Arbeitsplätzen und geplanten Einsparungen bei Rekultivierungen einen lebhaften Wortwechsel auszulösen. meine Verirrung bekam ihre Rechtfertigung, so wie Um- und Abwege nachträglich fast immer einen Sinn ergeben. derweil es bei mir freilich selten klappt mit dem Auslegen und Aufwiegen von Fehlgängen, gebe ich die Hoffnung nicht auf, dass mich mein schlechter Orientierungssinn dermaleinst in eine andere Welt führt. in eine Welt, in der ich vorbehaltlos ein Desorientierter sein darf.