mikado als symptom


(eine vage klarstellung)

das Umziehen war viele Jahre in Berlin ein Volkssport. ständig wechselte wer seine Mansarde, die WG, eine Lebensbeziehung oder zur Abwechslung sogar den Kiez. an Wochenenden parkten auf langen Strassen gleich mehrere Pritschenwagen, vor denen sich Krempel zwischen Stühlen und Kommoden stapelte. die Transporter wurden bei Robben & Wientjes zwei Wochen vorab bestellt, da sie damals schon die ganz preisgünstigen waren. es wurde an allem gespart, vor allem professionelle Möbelpacker wollte sich keiner leisten und musste es nicht bei einem weitverzweigten Bekanntenkreis. ich habe häufig bei Freunden ausgeholfen, ihre Hilfe aber wenig in Anspruch genommen. ich bin wegen meiner Bibliothek und angesammelten Kunstrückständen ein bodenständiger Typ.
manche müssen auch mit einem grossen Hausrat unfreiwillig umziehen, wo ein neuer Hausbesitzer die Wohnung nobel saniert. wer sich dem verweigert und auf seine Mietrechte pocht, schafft es, falls er clever ist, eine dicke Abfindung herauszuschinden. oder es wird wie bei der Regisseurin Katrin Rothe ein Film über diese Misere gedreht. sie hat sich nicht kaufen lassen und gegen die Einschüchterungen eines Investors, der auf alte Mietshäuser in Toplagen spezialisiert ist, lange angekämpft. mit der Kamera und einem versteckten Mikro dokumentierte sie seine Schikanen für einen Film, der ihr später den Grimme-Preis einbrachte. leider musste sie mit ihren zwei Kindern aus Berlins Mitte weichen, so dass ich sie gar nicht mehr treffe und nicht mit ihr plauschen kann. sie soll jetzt ohne Namensschild in einem anonymen Hochhaus wohnen, um Racheakten zu entgehen.
eine Bleibe in begehrter, zentraler Lage können sich bald einzig Vermögende leisten, während Mietwohnungen immer teurer oder gleich Eigentumswohnungen werden. sie sind eine sichere Geldanlage und nicht die einzige Bleibe für reiche Menschen. wollen sie sich verändern, dann gehen sie zum Friseur oder kaufen sich ein neues Auto. das Prekariat muss umziehen und kommt, da an Urlaubsreisen selten zu denken ist, wenigstens so ein bisschen in Bewegung. weil es vielen so geht, finden sich beim Wegzug immer noch zahlreiche Helfer und es werden Ketten gebildet, mitunter auch Gegenketten, falls der neue Mieter gleich einzieht. es dürfen dann keine Kartons auf der Treppe verwechselt werden. dazu kommt es aber kaum noch, da Wohnungen gleich zu Luxusappartements renoviert werden und trotz Mietpreisbremse es sich wenige Berliner weiterhin leisten können, einen neuen Mietvertrag einzugehen. es wird kaum freiwillig eine Adresse aufgegeben. bei freien Wohnungen liegen in der Hauptstadt die Mieten jenseits von Gut und Böse, Quadratmeterpreise von bis zu 20 Euro sind für kleine Klausen inzwischen üblich. steigen die Preise fortwährend, wird das Milieu ins Hinterland ziehen, und die Innenstädte werden ausschliesslich von Wohlhabenden bezogen. dass es in ihren Umfeld öder wird, fällt ihnen nicht auf. sie fühlen sich als Weltbürgertum wohl inmitten von Anwalts- und Arztpraxen, Kettenfilialen und Touristengastronomie.